Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
Vom Netzwerk:
vor, Schlipköter
selbst ins Gebet zu nehmen. Außerdem beschloss sie, eine bessere
Stimmungslage abzuwarten, bevor sie mit Pekka über ihre Bedenken
sprach, in Elberfeld zu bleiben.
    »Was schreibt denn der Herr
Soderberg mal wieder«, lenkte sie ab, »zurzeit korrespondiert ihr
ja ausgesprochen lebhaft.«
    Am Vormittag war ein dicker Brief
aus Finnland mit der feinen, akkuraten Schrift des finnischen
Geschäftspartners eingetroffen.
    Pekka sah auf, seine Miene erhellte
sich nicht. »Es ist alles nicht so einfach. Er schlägt vor, eine
eigene Zucht in Finnland aufzubauen, Nerze und Silberfüchse, die
Amerikaner und die Kanadier machen das schon lange, und sie sind
erfolgreich. In Lappland gibt es immer weniger Felle, und die
Preise steigen entsprechend, wir müssen uns was einfallen lassen.
Ich müsste natürlich einiges Kapital hineingeben, und ich weiß
nicht, ob ich das tun soll.«
    »Das hört sich nicht schlecht an.
Wir könnten ja zusammen nach Finnland fahren und schauen, was
Soderberg sich vorstellt, das wäre doch was.«
    Pekka wurde noch düsterer, seine
Augen füllten sich mit Tränen, und Anna biss sich auf die Lippen.
Der Vorschlag war nicht gut gewesen. Pekka streckte seine Arme aus
und zog sie auf seinen Schoß.
    »Komm zu isi, kulta, ich bin so traurig und so
schrecklich einsam, manchmal weiß ich nicht mehr, was ich tun soll,
da könnte ich nur noch weinen.« Er begann, Anna hin und her zu
wiegen, und verfiel in einen seltsamen Singsang. »Es ist wie in den
Winternächten in Lappland, wenn man keinen Stein sieht und die
Rentiere in die Gletscherspalten fallen und du ihr verzweifeltes
Grunzen hörst, wenn dir die Fingerkuppe erfriert, kaum hast du sie
aus dem Pelz gesteckt, wenn die Wölfe lauern und du die ganze Nacht
auf Schneeschuhen um die Herde laufen und laut schreien musst,
damit die Teufel nicht alles totbeißen, manchmal verlierst du eine
ganze Herde in einer Nacht. Sie brennen, sagen die Lappen über die
mordenden Wölfe, sie sind das Feuer.«
    Er sprach singend und kehlig, seine
Worte hüpften wie Wellen von Stein zu Stein. Anna verfiel in den
gleichen Tonfall.
    »Aber im Frühling ist es herrlich
für die Lappen und leicht. Jeder kann sich ausruhen und in Ruhe
dahin ziehen, wo die Kälber geboren werden. Und die Tiere sind wie
fliegende Vögel, als wären sie aufgescheucht, so laufen
sie.«
    Pekkas Geschichten aus Lappland
waren immer das Schönste für Anna gewesen, unzählige Male hatte er
von den mordenden Wölfen und den umherziehenden Lappen erzählt, bis
sie die Worte auswendig mitsprechen konnte. Sie wiegten sich und
murmelten vor sich hin, bis Louise in der Tür erschien. Sie hielt
ein verschnürtes Päckchen in der Größe eines Schuhkartons in die
Höhe.
    »Es ist für dich, Pekka, ohne
Absender«, sagte sie mit seltsamer Euphorie, »aber nach der Paketkarte scheint es aus Finnland zu
sein.«
    Anna warf einen Blick auf die
Adresse, die ihr merkwürdig vorkam: »Pelzhandel Salander, Inhaber:
Pekka Salander. Feine Pelze und Posamentierwaren. Am Wall 35,
Elberfeld«.
    »Von Soderberg ist es nicht«, sagte
sie, »die Schrift sieht aus wie von einem Kind.«
    Louise sah Pekka erwartungsvoll an,
der weiter Anna wiegte, vor sich hinsummte und keine Anstalten
machte, sich das Päckchen anzusehen. Louise legte es auf den Tisch
und sah gerührt auf Vater und Tochter.
    »Da redet sie den ganzen Tag von
Erwachsensein und dann so was, beim Papa auf dem Schoß sitzen. Ihr
seid mir vielleicht zwei Pappenheimer.«
    Hinter ihr tauchte ein Hut auf, der
die Ausmaße desjenigen, den Anna am Mittag verschmäht hatte, noch
um einiges übertraf. Emma erschien theaterfein und sah böse unter
weißen, pludrig wippenden Federn hervor auf die Idylle.
    »Ich gehe jetzt«, verkündete sie,
»bitte verschließt das Haus nicht, bevor ich zurück bin. Es kann
später werden, es gibt noch eine kleine Feier im Anschluss an die
Galavorstellung.«
    Sie kostete die Mitteilung aus, und
ihr Blick verweilte kurz bei Anna, ob sich nicht doch wenigstens
ein leises Bedauern darüber zeigte, dass sie das Ereignis
ausgeschlagen hatte. Doch die erhoffte Reaktion blieb aus. Anna saß
verkrampft auf Pekkas Schoß und bewegte sich nicht. Sie spürte,
dass es wieder hochstieg, und hoffte, sie werde es unterdrücken
können, bis ihre Mutter verschwunden war. Weil niemand etwas sagte,
drehte Emma sich unwirsch um und verließ den Schauplatz. Anna
bebte, sie schlug die Hände vor das Gesicht, und ihr ganzer Körper
zitterte. Dann

Weitere Kostenlose Bücher