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Die Reisen des Paulus

Die Reisen des Paulus

Titel: Die Reisen des Paulus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernle Bradford
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Win-de, die sich fast als einzige im Mittelmeer annähernd mit den Passaten der großen Ozeane vergleichen lassen. Sie sind immer aus Nordwest bis Nord zu erwarten, erreichen Windstärke 6 bis 7 und flauen im allgemeinen gegen Abend ab, manchmal aber wehen sie unvermindert die ganze Nacht über. Versucht ein Schiff, bei einem solch starken Wind luv-wärts zu steuern, so wird es beträchtlich vom Kurs abgetrieben – und die Segelschiffe der Antike waren dem schlecht gewachsen. Der Zielort des Schiffes, das sie nehmen wollten, war Neapolis, ein mazedonischer Hafen, über 160 Kilometer weiter nordwestlich und somit genau in der Richtung gelegen, aus der der Wind wehte. Wahrscheinlich konnten sie ihn nicht direkt ansteuern, was die Strecke auf etwa 240
    Kilometer vergrößerte. Und ebenso wahrscheinlich muß-
    ten sie in Troas einige Tage warten, bis der Wind abflaute oder sich so weit nach Norden drehte, daß die Fahrt möglich war.
    Paulus und seine beiden Gefährten begegneten wohl
    während dieser Wartezeit Lukas zum erstenmal. Paulus nannte ihn später den »geliebten Arzt«. Lukas war Grieche und stammte der Überlieferung nach aus Antiochien in Syrien. Selbst wenn das wahr ist, muß die Begegnung rein zu-fällig gewesen sein, denn Paulus hatte ursprünglich nicht die Absicht, nach Troas zu reisen. Vielleicht war Lukas aber auch ein Mazedonier, der in Troas zum christlichen Glauben übertrat und sich der kleinen Gruppe auf ihrer Reise in sein Heimatland anschloß. Jahrhundertelang hat man immer wieder darüber spekuliert, wer der Verfasser der Apostelgeschichte ist. Zweifellos war Lukas Arzt, und da Julius 226
    Cäsar allen Ärzten in Rom das römische Bürgerrecht verlie-hen hatte, könnte es Lukas durchaus geerbt haben. Sicher ist er der einzige wirkliche Homme de lettres unter den Evangelisten, ein gelehrter Mann mit prüfendem und forschendem Geist, was vielleicht von seiner Ausbildung als Arzt herrührte. Dr. Bartlet schreibt über Lukas: »Sein Glaube war in der Tat eine religio medici, voll Mitleid für die schwache, leidende Menschheit. Er konnte den Gedanken vom Sieg der göttlichen ›Heilkunst‹ über Leib und Seele des Menschen gut nachfühlen.« Ernest Renan nannte das Lukasevangeli-um »das schönste Buch, das je geschrieben wurde«. Gewiß gehört Lukas zu den bedeutendsten Männern aller Zeiten.
    Außerdem war er, ungeachtet seiner Herkunft und seines Hintergrundes, der ideale Gefährte für einen Menschen, der anscheinend so oft krank war. Paulus’ leidenschaftlichem Temperament setzte er einen kühlen, logischen Verstand entgegen, dazu einen gewissen Humor und des gebo-renen Historikers Forderung nach Genauigkeit. Mit Lukas bestand das Grüppchen nun aus vier Leuten – recht wenig, möchte man meinen, um einen Angriff auf den Glauben der gebildeten Griechen und der weniger gebildeten, aber weitaus mächtigeren Römer zu unternehmen.
    Schließlich kam der Tag, da der Kapitän des Kauffahrteischiffes fand, der Wind sei jetzt günstig, man könne die Überfahrt nach Neapolis wagen. Man sagte den Reisenden in den Herbergen, sie sollten ihr Bündel schnüren. Wer in der Taverne saß, nahm noch einen letzten Schluck vom tro-janischen Wein. Dann ging es an Bord. Die Matrosen machten die Leinen los. Da der Wind noch von Norden wehte, brauchte die Schaluppe das Schiff nicht aus dem Hafen zu 227
    ziehen. Die Rah mit dem Hauptsegel wurde gedreht, bis sie parallel zu Bug und Heck stand, und das Schiff lief in Richtung Nordwesten aus. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß die Invasion Europas begonnen hatte.
    *
    24
    N E
    Die Überfahrt wird wohl nicht angenehm gewesen sein
    – der Wind pfiff, Gischt sprühte, die Passagiere an Deck zogen eng ihre Mäntel um sich. Der Kapitän hielt erst auf die kleine Insel Tenedos zu, die man schon beim Aus-laufen im klaren Licht der Ägäis deutlich erkennen konnte. Vor Jahrhunderten hatte die griechische Flotte sich im Windschatten von Tenedos versteckt; die Trojaner dachten, die Feinde seien abgezogen – doch da wurde gerade das riesige hölzerne Pferd langsam in ihre Stadt gerollt …
    Der Kapitän hielt sich an die in der Ägäis verbreitete Praxis, hüpfte sozusagen von Insel zu Insel und war bemüht, möglichst immer schon die nächste in Sicht zu haben. Dann erblickten sie vor sich das waldige, hügelige Imbros. Hier gab es zwei natürliche Häfen, in die sich das Schiff flüchten konnte, falls der Nordwind zu stark

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