Die Reisen Des Paulus
übergetretene »gottesfürchtige angesehe-ne Frauen« brachten ihren römischen Gatten die Aktivitä-
ten von Paulus und Barnabas zu Ohren. Wie in jeder Kolonie war die erste Regung der herrschenden Klasse, das, was den Frieden zu gefährden schien, im Keim zu ersticken; und dies war und ist besonders dann der Fall, wenn die Kolonie aus einem bunten Völkergemisch besteht und die Machthaber einwandfrei in der Minderheit sind.
Paulus und Barnabas wurden nicht nur der Stadt ver-
wiesen, sondern durften auch die gesamte Region nicht mehr betreten. Gut möglich, daß römische Liktoren sie bei dieser Gelegenheit nach erfolgtem öffentlichem Prozeß mit Ruten auspeitschten. Paulus war römischer Bürger – zweifellos hatte er ein Dokument bei sich, das ihn als solchen auswies – und durfte deshalb nicht ohne ordentliches Gerichtsverfahren geschlagen werden. Barnabas genoß diesen Schutz nicht. Getreu dem Gebot, das Christus seinen Jüngern gab: »Und wo man euch nicht aufnimmt noch hören will, aus dem Ort gehet hinaus und schüttelt den Staub von 192
euren Füßen ihnen zum Zeugnis« – zogen die beiden Männer ihre Konsequenzen aus der Behandlung, die sie erfahren hatten. Sie waren lang genug in der Stadt gewesen und hatten genug Menschen von ihrem Glauben überzeugt – schon bestand zu Antiochien in Pisidien eine kleine, aufblühende Gemeinde. Im Herbst des Jahres 47 machten sich die beiden Männer vermutlich auf den Weg. Sie nahmen die römische Straße, die nach Lystra führte. Lystra lag etwa 210 Kilometer weiter südöstlich. Diesmal zogen sie wohl nicht mit einer Karawane mit. Sie waren entehrt, zwei Unerwünschte, trugen von der Sonne ausgeblichene Gewänder, hatten Wan-derstäbe in der Hand und über der Schulter ein Felleisen mit ihren Habseligkeiten, an den Füßen feste Ledersanda-len. Der Verfasser der Apostelgeschichte ist zwar ein durchaus praktischer Mann, aber oft läßt er etwas sehr Wichtiges außer acht: nämlich die ökonomische Seite. Paulus, Barnabas und Johannes Markus hatten sich nach Zypern eingeschifft, einige Wochen dort gelebt, waren nach Perge in Pamphylien gesegelt (wo sie Markus dann verließ), ein gutes Stück landeinwärts nach Antiochien in Pisidien gereist, dort mehrere Monate geblieben, und jetzt waren sie wieder unterwegs. Selbst wenn man annimmt, daß sie ebenso bescheiden lebten, wie es viele Bauern am östlichen Mittelmeer heute noch tun – etwas Geld müssen sie doch gebraucht haben. Gewiß hatte sie ihre Heimatkirche im syrischen Antiochien mit dem ausgestattet, was für die Reise als notwendig erachtet wurde, aber man konnte ja nicht voraussehen, daß die beiden Männer so lange fortbleiben würden. An vielen Orten werden sie bei Sympathisanten umsonst gewohnt haben. Außerdem darf man vermuten, daß die Neubekehrten 193
genug Geld gaben, um ihnen eine halbwegs angenehme Reise von einer Provinzmetropole zur anderen zu ermöglichen.
Ikonion, ihr nächstes wichtigeres Ziel, war die Hauptstadt von Lykaonien, der Zentralregion Kleinasiens. Sicher erreichte die Nachricht von dem, was in Antiochien geschehen war, Ikonion recht schnell, auch wenn sie nicht vor den Reisenden eintraf. Ihr Zielort lag immer noch innerhalb des Gebietes um Antiochien, und daher dürften sie damit gerechnet haben, daß sie Ärger bekommen würden, wenn sie abermals predigten – was man ihnen ebenfalls untersagt hatte. Und sie täuschten sich keineswegs.
Sie wurden ähnlich empfangen wie zuvor – man lud sie ein, in der Synagoge zu sprechen, und man lauschte ihnen voll Interesse. Die Orthodoxen verhielten sich feindselig, die Proselyten und Heiden waren aufmerksam, ja hingerissen.
Und bald war die Lage genauso wie in Antiochien. Die Gesetzestreuen spalteten sich von denen ab, die, ob Juden oder nicht, in diesem neuen Glauben eine Hoffnung sahen, nach der sich die Welt bis dahin vergeblich gesehnt hatte. Wahrscheinlich wohnte Paulus den Winter über in Ikonion. Die Apostel »blieben … daselbst eine lange Zeit …«
Man konnte im Frühling, Sommer und Herbst durchs
kleinasiatische Hochland reisen, wenn aber der Winter kam, wurde es schwierig. Wahrscheinlich fiel der Schlag erst im darauffolgenden Jahr. Vernünftig wäre es gewesen, nur einigen wenigen die revolutionäre Lehre zu predigen und bei jenen jede Entrüstung zu vermeiden, denen sie bestimmt nicht gefiel und die alles tun würden, um das missionarische Werk zu vereiteln. Doch das entsprach Paulus nicht. Und es entsprach Barnabas
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