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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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wäre«? Es ist schon jetzt schrecklich! Das bietet sich ja geradezu an, Schweiger: Der lila Nebel ist Herr über alles. Ist das so schwer zu begreifen? Und überhaupt ist das alles andere als Nebel… Das also ist des Rätsels Lösung, deshalb sind die Menschen wie Tiere in den dichten Wald gejagt worden, in die Sümpfe, wurden sie in den Seen ertränkt: Sie waren zu schwach, begriffen nichts, und wenn sie doch begriffen, konnten sie sich nicht zur Wehr setzen… Als ich noch nicht gefangen, sondern zu Hause war, wies jemand mal sehr überzeugend nach, daß ein Kontakt zwischen humanoider und nichthumanoider Vernunft möglich sei. Ja, er ist unmöglich. Natürlich ist er unmöglich. Deshalb wird mir auch niemand sagen, wie ich nach Hause gelangen kann. Ein Kontakt zwischen mir und den Menschen ist also gleichfalls unmöglich, dafür bin ich der Beweis. Ich kann höchstens noch einmal die Teufelsfelsen sehen. Es wird erzählt, daß sie zu sehen sind, wenn man im günstigen Augenblick auf einen geeigneten Baum klettert. Nur müßte ich zuerst einen geeigneten Baum finden, einen normalen irdischen Baum. Einen, der nicht springt, dich nicht wegstößt. Der nicht bestrebt ist, dich ins Auge zu stechen. Aber es gibt eben keinen Baum, von dem aus ich die Biostation erblikken könnte… Halt mal, Biostation? Bi-o-sta-ti-on. Ich hab’ vergessen, was das ist – eine Biostation.
    Wieder begann der Wald zu summen, zu brummen, zu bersten, zu fauchen, wieder stoben Scharen von Fliegen und Ameisen zur violetten Kuppel auf. Ein Schwarm zog über ihren Köpfen vorüber, und auf die Büsche rieselte ein Schwall verendeter oder geschwächter, regloser und zu keiner Bewegung mehr fähiger Insekten herab, die in der Masse zerdrückt worden waren. Candide spürte ein unangenehmes Brennen am Arm und schaute ihn an. Sein Ellbogen, auf die lockere Erde gestützt, war von feinen Pilzfäden umsponnen. Candide zerrieb sie gleichmütig mit der Hand. Die Teufelsfelsen aber, dachte er, sind ein Trugbild, es gibt keine Teufelsfelsen. Wenn sie davon berichten, lügen sie, nichts, aber auch gar nichts stimmt an ihren Märchen, und jetzt weiß ich schon nicht mal mehr, weshalb ich mich eigentlich hierher aufgemacht habe…
    Seitlich ertönte ein bekanntes, furchteinflößendes Schnauben. Candide wandte den Kopf. Hinter sieben Bäumen hervor stierte ein gewaltiger Hippozet zum Hügel. In einen der Schatten kam plötzlich Leben, er scherte aus und ging einige Schritt auf das Tier zu. Erneutes Schnaufen, ein Knacken in den Bäumen – der Hippozet entfernte sich. Sogar sie haben Angst vor den Schatten, dachte Candide. Wer hätte keine? Wo fände man ein Wesen, das keine Angst hätte? – Die Fliegen stoben mit Geheul vorüber. So was Idiotisches – heulende Fliegen, heulende Wespen…
    »Mutter!« flüsterte Nawa plötzlich. »Dort geht meine Mutter…«
Sie stand auf allen vieren und schaute nach hinten über die Schulter. Ihr Gesicht drückte gewaltige Verwunderung und Unglauben aus. Da sah Candide drei Frauen aus dem Wald kommen und auf den Hügel zugehn. Anscheinend bemerkten sie die Schatten nicht.
»Mutter!« kreischte Nawa mit fremder Stimme und stürmte, Candide beiseite stoßend, davon. Nun sprang auch Candide auf, und ihm schien, als seien die Schatten ganz nah, als spüre er die Hitze, die von ihren Körpern ausging.
Es sind drei, dachte er. Drei… Einer allein hätte auch genügt. Er schaute zu den Schatten hin. Das ist mein Ende, dachte er. Wie dumm. Was haben sie hier auch zu suchen, diese Weiber? Wie ich sie hasse, ständig gibt’s ihretwegen Scherereien.
Die Schatten schlossen die Münder und wandten die Köpfe langsam Nawa zu. Dann setzten sie sich wie auf Kommando gleichzeitig in Bewegung, und Candide sprang ihnen aus den Büschen heraus verzweifelt entgegen.
»Zurück!« rief er den Frauen zu, ohne sich umzudrehen. »Verschwindet! Hier sind Schatten!«
Die Schatten waren riesig, breitschultrig und bestens in Schuß: ohne jeden Kratzer, ohne jede Schramme. Ihre unwahrscheinlich langen Arme reichten bis ins Gras hinunter. Candide baute sich auf dem Weg vor ihnen auf, ohne sie aus den Augen zu lassen. Die Schatten schauten über ihn hinweg und bewegten sich mit selbstsicherer Gelassenheit auf ihn zu. Candide wich zurück, er setzte zum Rückzug an, bestrebt, den unausweichlichen Zusammenstoß und das unausweichliche Ende hinauszuzögern, mit nervöser Übelkeit kämpfend und unfähig stehenzubleiben. Hinter sich hörte er Nawa

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