Die Reliquie von Buchhorn
mit schmalen Lippen, »wie sehr Abt Salomo St. Gallen geliebt hat. Warum sollte er es wissentlich schwächen?« Er glättete das Pergament mit beiden Händen, ehe er es auf das Pult legte. »Es ist leicht, einem Toten eine Schenkung zuzuschreiben, und dies wäre nicht die erste Fälschung von Urkunden.«
»Aber das ist seine Unterschrift!«
»Ist sie das, Bruder Rodericus? Ich war sein Sekretär, viele Jahre lang, und ich bin mir da nicht so sicher. Noch weniger sicher bin ich mir, dass dies sein Siegel ist. Eine Fälschung. Eine gute zwar, aber eine Fälschung.« Er strich mit dem Zeigefinger über das zerborstene Siegelwachs. »Es ist eine Fälschung.«
»Kannst du das beschwören?«
Eckhard sah aus dem Fenster. Das Flockentreiben war wieder dichter geworden. Es sah friedlich aus, aber in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. »Ich weiß nicht«, sagte er langsam.
Hartmanns asketische Gestalt ragte drohend vor der weißen Winterlandschaft vor dem Fenster auf. »Bruder Eckhard, es geht um das Wohl des Klosters.«
»Ich weiß nicht«, wiederholte Eckhard, »ob ich mich als einfacher Klausner noch in derart weltliche Angelegenheiten mischen darf. Ihr habt selbst gesagt, dass meine Zeit als Sekretär des Fürstbischofs unwiederbringlich vorbei ist.« Sein Herz schlug heftig, aber er hatte keine Wahl. Mit klaren, kalten Augen schaute er den Abt an. »Ich will mich nicht versündigen.«
»Bruder Eckhard!« Hartmann sah ihn entgeistert an. Dann zog ein mindestens ebenso frostiges Lächeln über sein Gesicht. »Ich verstehe. Ich nehme an, dass ich dich von deinen Gewissensqualen befreien kann, wenn ich dich von deinem Gelübde entbinde.«
Eckhard senkte demütig das Haupt. Einen Augenblick lang fürchtete er, seine Knie könnten nachgeben. Ohne hinzusehen wusste er, dass Rodericus ihn fassungslos musterte. Er wappnete sich gegen die Scham. Oh Wendelgard, dachte er, verzeih mir mein hartes Urteil, als du die Klause verlassen hast. Laut sagte er: »Ja, ehrwürdiger Vater Abt.«
Hartmann verkrampfte die Hände, während er Eckhard beinahe hasserfüllt anstarrte. »Dann soll es so sein. Was deine weitere Zukunft angeht …«
Die Tür sprang auf, und Bruder Matthias humpelte so schnell er konnte in das Studierzimmer des Abtes. »Verzeiht, ehrwürdiger Vater, aber die Gräfin … Es ist unabwendbar!«
Der Abt bekreuzigte sich. »Gott steh ihr bei.«
Aber es war Eckhard, der stumm auf die Knie sank und zu beten begann.
Ein Schrei gellte aus dem verschlossenen Zimmer. Udalrich hielt sich die Ohren zu. Er wusste, dass er nicht eingelassen werden würde. Er hatte es zu oft versucht. Mit einem gequälten »Gott steh ihr bei!« verließ er den dumpfen Flur des Spitals und trat ins Freie. Der Schnee stob ihm ins Gesicht und legte sich auf seine Haare und Schultern. Sekundenlang war er blind für seine Umgebung, erst als drinnen die Schreie verklangen, nahm er den Mann wahr, der vor dem Gästehaus stand. Er erstarrte, als er seinen Stallmeister erkannte. Sekundenlang erreichte ihn ein Gedanke jenseits von Wendelgard. »Du bist also zurückgekommen, um deine Strafe anzunehmen.«
»Ja, Herr.« Wulfhard trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. »Aber den Mord hab ich nicht begangen. Und Isentrud auch nicht.« Er dachte kurz nach. »Und das Pferd hab ich mir nur ausgeliehen.«
»Ah so.« Udalrich krümmte sich, als ein weiterer lang gezogener Schrei durch die Stille drang. »Damit befasse ich mich später. Jetzt mach dich nützlich und bete für deine Herrin.« Udalrich machte eine Bewegung, als wolle er wieder ins Spital zurückkehren, als er Eckhard erblickte, der aus dem Haupthaus gelaufen kam. »Eckhard, sorg verdammt noch mal dafür, dass sie mich zu meiner Frau lassen!«, brüllte er verzweifelt.
»Herr, sie bekommt ein Kind und …«
»Das weiß ich. Und sie leidet. Sie braucht mich.« Er wagte nicht, seiner unausgesprochenen Angst Worte zu verleihen, aber der Mönch las sie in den Zügen seines Gegenübers.
»Wir alle beten für Eure Gemahlin, Herr. Auch die Ärzte sind überaus fähig. Aber letzten Endes müssen wir alle unser Vertrauen in Gott setzen.«
Udalrich stierte aus geröteten Augen vor sich hin. »Wenn sie stirbt, Eckhard«, stöhnte er, »sterbe ich auch.«
Eckhard wusste, dass er den Grafen wegen seiner Lästerung hätte tadeln müssen, aber er brachte es nicht über sich. Der rohe Schmerz des Mannes berührte und verunsicherte ihn gleichermaßen. »Vertraut auf Gott«, bat er noch
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