Die Reliquie von Buchhorn
Kenntnis, dass sich Tränen darin mischten. Er konnte die Worte nicht verstehen, die Eckhard an Udalrich richtete, aber die Haltung der beiden Männer verriet ihm genug. Wulfhard drehte sich um und biss sich auf die Unterlippe, bis es schmerzte.
Eckhard trat aus dem Spital. Er fühlte sich leer und alt, und er fror. Ein Teil von ihm bereute, das Krankenzimmer betreten zu haben. Er fragte sich, ob er den Anblick von Wendelgards armem blutigen Körper je würde vergessen können. Oder den von Udalrich, den er neben dem Totenbett seiner Gemahlin zurückgelassen hatte. Er fragte sich, ob Silvanus mit seinen zynischen Worten recht gehabt hatte, ob es wirklich besser war, nicht zu lieben.
Seine Füße trugen ihn ohne sein Zutun in den verschneiten Klostergarten. Die Apfelbäume wirkten wie ein Gemälde in Schwarz und Weiß vor dem grauen Himmel. Zwischen ihnen stand die zerbrechliche Gestalt des alten Bruder Matthias. Ohne eine Frage zu stellen, ging der Alte auf Eckhard zu und umarmte ihn. »Sie ist bei Gott.«
Eckhard schaute zur Seite. »Ja, Bruder. Ich frage mich nur, wie Udalrich ihren Tod verkraften wird.«
»Gar nicht«, sagte Matthias nach einigem Nachdenken ruhig. »Aber er hat die Gewissheit, diese Frau wahrhaft geliebt zu haben. Das wird ihm in den paar Jahren helfen, die er noch vor sich hat.«
Eckhard sah ihn entsetzt an, aber der alte Mann neben ihm lächelte nur. »Es ist der Weg der Natur. Auch der Graf wird das begreifen, wenn er seine Kinder sieht. Sie muss eine gute Frau gewesen sein, so wie sie die Menschen berührt hat.« Er machte mit dem Kinn ein verstohlenes Zeichen. Eckhard drehte sich um und sah Wulfhard, der ihnen in einiger Entfernung folgte, als suche er die Nähe von Menschen und die Einsamkeit gleichermaßen.
»Das Kind lebt. Kinder sind die Zukunft«, betonte Matthias.
»Aber mit ihr ist die Seele Buchhorns gestorben.« Eckhard drückte die Hand gegen die raue Rinde eines Baums, bis seine Haut schmerzte.
Matthias fasste sanft sein Gelenk und zog es zurück. »Mit seinem Sohn ist eine neue Seele auf die Welt gekommen.«
»Nicht für Udalrich. Wendelgard hat das Kind dem Kloster versprochen. Es ist unser Kind, der kleine Ingenitus!«
»Burkhard«, mahnte Matthias sanft.
Die beiden Männer verstummten, als sie Wulfhards Schritte auf dem Schnee knirschen hörten. »Was heißt Ingenitus?«, fragte er.
Eckhard betrachtete seine verletzte Handfläche. »Sorge du dich lieber um das Kind, das Isentrud unter ihrem Herzen trägt.«
»Was heißt es!«
Eckhard seufzte. »Der Ungeborene.«
»Der Todesbote«, murmelte Wulfhard finster.
Eckhard schloss die Faust und stützte sich wieder gegen den Stamm. »Zweifelst du am Ratschluss des Herrn?«
»Du etwa nicht? Ich habe den Mann gesehen. Der ist fertig. Und überhaupt«, brach es aus Wulfhard heraus, »ungeboren ist das Kind ja wohl nicht.«
»In gewissem Sinne schon«, erklärte Eckhard zermürbt. »Sie mussten den Bauch aufschneiden.«
»Lasst mich mit Eurem Latein in Ruh!«, fauchte Wulfhard. Er drehte sich um und stapfte durch den knöchelhohen Schnee davon.
»Er hat recht«, sagte Eckhard, »reden hilft nicht. Ich werde jetzt zu Wiborada reiten und ihr mitteilen, was heute geschehen ist.«
»Überlass das dem Abt!«, riet Matthias freundlich. »Du bist nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen.«
Eckhard nickte stumm.
In diesem Augenblick sahen sie drei Männer auf sich zukommen. Es waren der Abt und Udalrich. Wulfhard folgte ihnen in gebührendem Abstand. Der Graf wirkte gefasst, aber als Eckhard ihm in die Augen sah, schauderte er vor dem Abgrund, in den er blickte. »Herr?«
»Abt Hartmann hat mir alles berichtet.« Udalrichs Stimme klang monoton wie der unaufhörliche Schneefall. »Ich danke dir, dass diese Verbrechen geklärt sind. Silvanus hat den Mord an Dietger gestanden?«
Eckhard biss sich auf die Lippen. »Ja.« Die Lüge fiel ihm nicht schwer.
»Dann gebe ich Isentrud hiermit frei. Allerdings rate ich ihr, Buchhorn zu verlassen, vor allem, da, wenn ich den Abt richtig verstanden habe, die Gefahr besteht, dass sie in ein paar Monaten einen rothaarigen Säugling auf die Welt bringen wird.« Sekundenlang hoffte Eckhard, dass auf diese Worte ein Lächeln folgen würde, doch der Graf wandte sich nur mit einer steifen Geste an Wulfhard. »Du hast Wendelgard einmal das Leben gerettet, und sie hätte nicht gewollt, dass ich dich bestrafe. Das respektiere ich, auch wenn du die Peitsche mehr als verdient hättest.
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