Die Revolte des Koerpers
erlebt. Auch bei Klaus nicht. Wenn ich Klaus etwas erzähle, sagt er auch oft »Das glaubst du nur so«, als ob er besser als ich wissen könnte, wie ich etwas empfinde. Aber der arme Klaus, der sich für so wichtig hält, wiederholt ja auch nur das, was ihm seine Eltern gesagt haben: »Deine Gefühle täuschen dich, wir wissen es besser« usw. Seine Eltern reden so wahrscheinlich aus Gewohnheit, weil man eben so redet, denn im Grunde sind sie anders als meine Eltern. Sie sind viel mehr bereit zuzuhören und auf Klaus einzugehen, vor allem die Mutter. Sie stellt ihm häufig Fragen, und man hat das Gefühl, daß sie ihn wirklich verstehen will. Ich wäre froh, wenn meine Mutter mir solche Fragen stellte. Aber Klaus mag das nicht. Er möchte, daß sie ihn in Ruhe läßt und ihn selber Dinge herausfinden läßt, ohne ihm ständig dabei helfen zu wollen. Das ist sein gutes Recht, aber diese Haltung von Klaus schafft auch Distanz zwischen uns. Ich komme einfach nicht an ihn heran. Wie denkt wohl Susan darüber?
11. Juli 1998
Wie bin ich froh, daß es Susan gibt. Nicht nur, weil sie mir zuhört und mich ermutigt, mich auf meine Art zu äußern, sondern auch, weil ich weiß, daß jemand zu mir steht und daß ich mich nicht verändern muß, damit sie mich gerne hat. Sie hat mich gern, wie ich bin. Das ist überwältigend, ich muß mich gar nicht anstrengen, um verstanden zu werden. Sie versteht mich einfach. Es ist ein herrliches Gefühl, verstanden zu werden. Ich muß nicht um die Welt reisen, um Menschen zu finden, die mir zuhören wollen, und später enttäuscht zu sein. Ich habe einen Menschen gefunden, der das kann, und dank dieses Menschen kann ich ermessen, wie ich mich immer getäuscht habe, zum Beispiel mit Klaus. Wir waren gestern im Kino, und ich versuchte später mit ihm über den Film zu sprechen. Ich erklärte, warum mich die Inszenierung enttäuscht hatte, obwohl die Rezensionen so gut waren. Er sagte darauf nur: »Du hast zu hohe Ansprüche.« Da fiel mir auf, daß er schon früher solche Bemerkungen gemacht hatte, statt auf den Inhalt dessen, was ich sagte, einzugehen. Doch ich nahm das immer als normal hin, weil ich zu Hause auch nichts anderes hörte und so daran gewöhnt war. Aber gestern fiel es mir auf. Ich dachte, so würde Susan doch niemals reagieren, sie antwortet stets auf das, was ich sage, und wenn sie mich nicht versteht, fragt sie nach. Plötzlich habe ich realisiert, daß ich seit einem Jahr mit Klaus befreundet bin und nicht gewagt habe zu merken, daß er mir eigentlich gar nicht zuhört, daß er mir in einer ähnlichen Weise wie Papa ausweicht und daßich das für normal hielt. Ob sich das wohl ändern würde? Warum sollte es sich ändern? Wenn Klaus ausweicht, wird er dafür seine Gründe haben, an denen ich nichts ändern kann. Aber zum Glück fange ich an zu merken, daß ich es nicht mag, wenn man mir ausweicht, und daß ich dieses Nichtmögen auch zum Ausdruck bringe. Ich bin nicht mehr das kleine Kind bei meinem Papa.
18. Juli 1998
Ich erzählte Susan, daß mir Klaus manchmal auf die Nerven geht und ich weiß nicht warum. Ich hab ihn doch gern. Es sind immer Kleinigkeiten, die mich ärgern, und ich mache mir deswegen Vorwürfe. Er meint es doch gut mit mir. Er sagt, daß er mich liebt, und ich weiß, daß er sehr an mir hängt. Warum bin ich denn so kleinlich? Warum regen mich Kleinigkeiten auf? Warum kann ich nicht großzügiger sein? Ich redete lange so daher, beschuldigte mich, Susan hörte mir zu, und schließlich fragte sie mich, worin denn die Kleinigkeiten bestehen. Sie wollte alles genau wissen, und ich mochte nicht darauf eingehen, aber schließlich sah ich ein, daß ich stundenlang so daherreden könnte und mich beschuldigen könnte, ohne genau hinzusehen, was mich ärgerte. Einfach weil ich meine Gefühle schon verdammte, bevor ich sie ernst nehmen und verstehen konnte.
So fing ich an, über die konkreten Einzelheiten zu berichten. Da war die Geschichte mit dem Brief. Ich hatte ihm einen ganz langen Brief geschrieben und darin zu sagen versucht, wie schlecht ich mich fühle, wenn er mir meine Gefühle auszureden versucht. Wenn er zum Beispiel sagt, ich würde alles negativ sehen, würde Haarspalterei betreiben, über alles spekulieren, was nicht der Rede wert sei. Ich solle mir doch nicht unnötige Sorgen machen, wo kein Grund dafür bestünde. Solche Äußerungen machen mich traurig, ich fühle mich einsam und neige dazu, mir selber das gleiche zu sagen, hör
Weitere Kostenlose Bücher