Trantüten von Panem
1
Das Knurren eines Magens weckt mich. Es ist nicht meiner, sondern der des Katers. »Ruhe, Butterkugel«, stöhne ich und stoße ihn vom Bett. Er kommt unsanft auf dem Boden auf und ich versuche, wieder einzuschlafen, aber es geht nicht. Heute ist schließlich Erntedankfest.
Auf Zehenspitzen schleiche ich über den Lehmboden in die andere Ecke des Zimmers. Ich will meine Mutter nicht wecken. Butterkugel hat sich von seiner Bruchlandung erholt und leckt an meinem Bein. Er hat Hunger.
Ich durchsuche den Schrank nach etwas Essbarem. Die wenigen Lebensmittel, die wir unser Eigen nennen, verstauen wir immer im Schrank. Dort schläft auch meine kleine Schwester. Sie heißt Prin. Das ist kurz für Prinzessin. Butterkugel ist ihr Kater. Als ich den Schrank aufmache, liegt sie auf dem Regal und schmiegt sich an eine leere Schachtel Kekse. Sie sieht sooo niedlich aus.
Das Einzige, was ich Butterkugel geben könnte, sind ein paar schimmelige Karotten. Vorsichtig schnappe ich sie mir. Prin rührt sich zwar, wacht aber nicht auf. » Puh! «, schnaube ich erleichtert und wecke sie damit auf.
»Mach den Schrank zu, dumme Nuss!«, fährt sie mich an.
»Tut mir leid«, entgegne ich und beuge mich vor, um ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu drücken, aber sie schlägt mir die Schranktür ins Gesicht.
Ich werfe Butterkugel die Karotten zu. Er blickt zu mir auf und knurrt. Man muss wissen, dass Butterkugel und ich nicht gerade die besten Freunde sind. Ich kann mich noch daran erinnern, wie Prin ihn mit nach Hause brachte. Er war der größte und hässlichste Kater, der mir je unter die Augen gekommen war, und wog um die fünfundzwanzig Kilo. Dazu die feuchte schwarze Nase und die Schlappohren. Außerdem wollte schon damals seine Zunge einfach nicht in seinem Maul bleiben, sondern jeden und alles unentwegt ablecken. Sein dichtes, goldenes Fell war Heimat für eine Kolonie von Flöhen, und jedes Mal, wenn ich eine Zeitung aus dem Fenster warf, rannte der blöde Kater hinterher und apportierte sie. Er war einfach widerwärtig.
»Das kannst du vergessen, Prin«, sagte ich damals. »Den behältst du nicht.« Mit diesen Worten schnappte ich ihn mir und versuchte, ihn in der Pfütze vor der Straße zu ertränken. Doch die Lache war nicht tief genug. Ganz gleich, wie sehr ich mich auch abmühte, es gelang mir nicht, seine Schnauze ganz unter Wasser zu tauchen. »Also gut.« Schließlich gab ich auf. »Du kannst die blöde Katze behalten.«
Und er weilt noch immer unter uns. Da, wo ich herkomme, besitzt kaum jemand ein Haustier. Ich lebe in Distrikt 12, einer von zwölf Distrikten, die zu Panem gehören. Distrikt 12 ist der ärmste von allen. Während manche ihn liebevoll »Das dreckige Dutzend« nennen, wird er von den meisten als »kaum lebenswert« bezeichnet. Das berühmt berüchtigte Viertel, in dem ich wohne, ist wiederum das schlimmste im ganzen Distrikt 12 und heißt überall nur »der Crack«.
Ich starre auf Butterkugel, der sich über die köstlichen faulen Karotten hermacht. Zumindest ein paar hätte ich für mich beiseitelegen sollen. Stattdessen bin ich auf Butterkugel neidisch. Für diesen blöden Kater ist heute ein ganz normaler Tag. Er wird wie immer seinen Schwanz jagen und Frisbees im Park nachlaufen, ohne sich auch nur die geringsten Sorgen zu machen. Für mich aber ist der heutige Tag ein besonderer. Heute ist Erntedankfest.
Die Sonne geht auf. Es ist an der Zeit, dass ich auf die Jagd gehe. Ich ziehe meine Stiefel unter dem Bett hervor – die Stiefel, die mir mein Vater geschenkt hat, bevor er starb. Nur schnell hineinschlüpfen, und dann bin ich so weit. Ich achte darauf, dass ich die Tür leise hinter mir schließe. Sobald sie sanft ins Schloss gefallen ist, öffne ich den Briefschlitz und brülle laut: »Ich gehe jagen!« Jetzt wissen sie, was ich vorhabe. Dann mache ich mich auf den Weg, um meinen Jagdkameraden zu treffen. Er heißt Carola Montana.
Die Straßen im Distrikt 12 sind heute wie leer gefegt. Es ist irgendwie unheimlich. Die normalen Geräusche von klappernden Tastaturen und klingelnden Telefonen, die sonst die Luft erfüllen, machen einer beklommenen Stille Platz, die sich am Erntedankfest über die Stadt gelegt hat wie ein riesiges Kissen auf den Kopf eines unerwünschten Haustiers.
Als ich durch die Straßen laufe, sehe ich, dass ein Mann die Flagge von Distrikt 12 in seinem Garten hisst. Sie ist schwarz – wie alle Flaggen im feuchtfröhlichen Panem. In ihrer Mitte ist ein goldenes
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