Rage
Prolog
Jessie
Nahe Albany, Georgia, USA
19 Juni 2023 / 05:47 p.m. Ortszeit
„Verdammt“, murmelte ich leise vor mich hin, als ich den schwach beleuchteten Flur entlang ging. Ich hatte das dumme Gefühl, dass ich mich auf der Station geirrt hatte. Ich war erst drei Wochen bei DMI, Dexter Medical Industries, und ich fand mich noch immer nicht hier zurecht. Ich hatte eine Reihe von Blutproben zum Labor auf Station U3 bringen sollen. Zumindest war ich mir sicher, dass es U3 gewesen war, was der Laborant mir gesagt hatte. Oder war es doch U2 gewesen? Ein entsetzliches Geräusch ließ mich zusammenfahren, dass ich beinahe meine Blutproben hätte fallen lassen. Es hatte sich angehört wie das Brüllen eines wilden Tieres. Hielten die Versuchstiere auf dieser Station? Vielleicht war ich hier doch richtig. Wenn das Labor sich hier befand, dann war es auch denkbar, dass sie Versuchstiere hielten. Mir war nicht ganz wohl dabei, denn ich hielt eigentlich nichts von Tierversuchen, doch ein Unternehmen wie DMI würde wahrscheinlich welche durchführen. Leider hatte ich keine andere Praktikantenstelle bekommen. Ich war ein wenig spät dran gewesen, weil ich mich um die Beerdigung meiner Mum zu kümmern hatte. In allen umliegenden Krankenhäusern waren die Praktikumsstellen bereits weg gewesen und DMI waren die einzigen, die noch einen Platz für mich gehabt hatten. Es war nicht ganz das, was ich mir erhofft hatte. Ich wollte mit Kranken und Verletzten arbeiten, stattdessen musste ich Blutproben von Soldaten nehmen und Medikamente verabreichen, für dessen Tests die Soldaten volontierten.
Das Gebrüll erklang erneut. Ich fragte mich, von was für einem Tier das kommen mochte. Ich dachte immer, man würde Meerschweinchen, Affen oder Hunde zu Testzwecken nutzen, doch was ich da hörte, schien ein großes und wildes Tier zu sein. Ein Raubtier! Ein Schauer lief über meinen Rücken. Was auch immer es war, es klang wie eine Mischung aus Bär und Löwe. Ich hatte so einen Schrei noch nie gehört. Mit einem unguten Gefühl ging ich weiter, bis der Flur auf einen anderen Gang stieß.
„Rechts oder links?“, fragte ich mich. „Ene mene mu.“ Ich wandte mich nach rechts und jetzt hörte ich leises Knurren und das Geräusch von Ketten. Schweren Ketten. Ich schluckte schwer. Was für ein Tier mochte es sein, dass man es in Ketten legen musste?
Das ist eine ganz dumme Idee , schalt ich mich im Stillen, als ich vorsichtig weiter ging. Ich wette, dass das verdammte Labor gar nicht hier ist. Sei schlau, Jessie. Dreh dich um und verschwinde von hier!
Trotz meiner inneren Warnung, setzte ich einen Fuß vor den anderen. Bis ich sah, dass eine Reihe von Zellen von dem Gang abgingen. Massive Gitter, ähnlich wie in einem Gefängnistrakt kamen in Sicht. Ich ging ein paar Schritte weiter um zu sehen, was für eine Kreatur sie hier gefangen hielten. Ich erstarrte. Was dort, an die Wand gekettet, in der Zelle stand, war kein Tier. Es war ein Mann. Nein! Kein gewöhnlicher Mann! Diese Kreatur war nicht rein menschlich, auch wenn er auf den ersten Blick so wirkte. Er sah zwar aus, wie ein hünenhafter Muskelprotz, doch als er mir knurrend sein Gesicht zuwandte, sah ich, dass er lange Reißzähne besaß und seine Augen waren geformt, wie die einer Katze. Sie schienen im Dämmerlicht sogar zu leuchten wie Katzenaugen. Er hatte schwarze Haare, die in wilden Locken bis etwa zur Hälfte seines Rückens gingen. Ungewöhnlich war die Kopfform des Mannes. Die Stirn war etwas höher und der Hinterkopf lief leicht spitz zu. Auf eine unheimliche Art wirkte der Mann, das Wesen, was auch immer er war, anziehend und attraktiv. Wenn man davon absah, dass sein Gesicht eine Maske der Rage und des Hasses war. Wohl kaum verwunderlich, wenn er hier angekettet war. Ich fragte mich, warum er hier so gehalten wurde. Was war er? Gab es mehr von seiner Art?
„Ich warne dich“, sagte er plötzlich, seine Stimme mehr ein Knurren, wobei er das R rollte. „Wenn du auf die Idee kommst, mir noch mehr Blut abzuzapfen, dann breche ich dir das Genick.“
Ich schreckte zusammen. Er wirkte nicht so, als würde er nur leere Drohungen ausstoßen.
„Ich ... ich bin nicht hier, um dir wehzutun“, versicherte ich geschockt. „Ich ... ich wusste nicht, dass ...“
Er musterte mich. Seine Nasenflügel bebten, wie bei einem Tier, das eine Witterung aufnahm. Ich starrte in seine faszinierenden Augen. Sie waren bernsteinfarben, wirklich wunderschön, doch seltsam. Erst nach
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