Die Romanow-Prophezeiung
auf Russisch.
Eine Babuschka, die Puppen verkaufte, verstand sofort und schlurfte zu einem nahen Hauseingang, während sie den Schal um ihr runzliges Gesicht zurrte. Ein halbes Dutzend Kinder, die Zeitungen oder Pepsi verhökerten, verschwanden in einem Lebensmittelgeschäft. Verkäufer ließen ihre Stände im Stich und stoben auseinander wie Küchenschaben. Das Auftauchen der Mafija war keine Seltenheit. Er wusste, dass in ganz Moskau mindestens hundert verschiedene Banden ihr Unwesen trieben. Dass jemand erschossen oder erstochen wurde oder in die Luft flog, war mittlerweile so alltäglich wie Verkehrsstaus – das ganz normale Risiko derer, die auf der Straße ihren Geschäften nachgingen.
Und weiter ging es durch die belebte Straße, in der die Fahrzeuge sich nur noch im Schneckentempo vorwärts tasteten und der Verkehr fast zum Erliegen gekommen war. Plärrend ertönte eine Hupe, und ein Taxi kam Zentimeter vor ihm zum Stehen. Seine blutigen Hände landeten unsanft auf der Motorhaube. Der Fahrer drückte noch immer auf die Hupe. Lord drehte sich um und sah die beiden Männer mit den Gewehren um die Ecke biegen. Die Menschenmenge teilte sich und machte damit das Schussfeld frei. Er sprang hinter das Fahrzeug, als Geschosse das schachbrettartig gemusterte »Taxi«-Signalband auf der Fahrerseite durchlöcherten.
Die Hupe verstummte.
Er stand auf und blickte in das blutige Gesicht des Fahrers, das gegen das Fenster der Beifahrerseite gelehnt war; ein Auge war weit aufgerissen, die Scheibe mit roten Spritzern übersät. Die Männer befanden sich jetzt fünfzig Meter entfernt auf der anderen Seite der verstopften Straße. Lord überflog die Geschäfte zu beiden Seiten und registrierte einen Laden mit Männermode, einen mit Kinderbekleidung und mehrere Antiquitätengeschäfte. Er suchte einen Ort, an dem er untertauchen konnte, und entschied sich für McDonald’s. Irgendwie kamen ihm die goldgelben Bögen wie ein Symbol der Sicherheit vor.
Und schon drückte er die Glastüren auf. Hunderte von Menschen drängten sich um die brusthohen Tische und in den Nischen. In der Warteschlange standen noch mehr. Er befand sich halt im beliebtesten Restaurant der Welt, mit dem Geruch von gegrillten Frikadellen, Fritten und Zigaretten.
Seine Hände und seine Kleidung waren noch immer blutig, und mehrere Frauen schrien bei seinem Anblick auf. Die jungen Leute rannten in Panik zum Ausgang. Lord schob sich tiefer in die Menge, merkte dann aber, dass das ein Fehler war. Er kämpfte sich durch den Speiseraum auf eine Treppe zu, die zu den Toiletten hinunterführte, ließ die verängstigte Masse hinter sich und rannte, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab, während seine blutige rechte Hand über das glatte Eisengeländer glitt.
»Weg da. Zurück«, befahlen von oben tiefe Stimmen auf Russisch.
Unten angekommen, stand er vor drei geschlossenen Türen. Eine führte zur Damen-, die andere zur Herrentoilette. Lord öffnete die dritte. Vor ihm lag ein großer Lagerraum, dessen Wände mit denselben weißen Kacheln gefliest waren wie das übrige Restaurant. In einer Ecke saßen drei Leute rauchend um einen Tisch. Er bemerkte ihre T-Shirts, auf denen das Konterfei Lenins über den goldgelben Bögen von McDonalds schwebte. Ihre Blicke trafen sich.
»Gangster, versteckt euch«, warnte er auf Russisch.
Wortlos sprangen alle drei vom Tisch auf und schossen auf das hintere Ende des hell erleuchteten Raumes zu. Der Erste riss die Tür auf, und schon waren sie verschwunden. Lord schlug rasch die Tür zu, durch die er gekommen war, und verschloss sie von innen, bevor er ihnen folgte.
Eine schmale Gasse hinter dem mehrstöckigen Gebäude, in dem das Restaurant war. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn hier Zigeuner oder mit Orden behängte Kriegsveteranen gehaust hätten, zumal jede noch so kleine Nische in Moskau die eine oder andere gesellschaftliche Randgruppe zu beherbergen schien.
Er stand zwischen schmuddeligen Gebäuden, deren grob behauene Steine von den Autoabgasen der Jahrzehnte geschwärzt waren. Schon oft hatte er sich gefragt, wie sich diese Abgase wohl auf die Lunge auswirken mochten. Dann versuchte Lord, sich zu orientieren. Er befand sich etwa hundert Meter nördlich des Roten Platzes. Wo lag wohl die nächste Station der Moskauer Metro? Das könnte der beste Fluchtweg für ihn sein. In den Metro-Stationen waren immer Polizisten. Aber schließlich wurde er von Polizisten verfolgt. Oder doch nicht? Er hatte gelesen,
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