Die Rose der Highlands
traf sie mitten ins Herz, erinnerte sie an glückliche Begrüßungen. Sie sah im Geist, wie ihr jüngerer Bruder Fergus ihr von einem nahe gelegenen Hügel zuwinkte. Neben ihm stand lächelnd ihr älterer Bruder James, glücklich, wieder zu Hause zu sein. Marcus, der Mann, den sie im Frühling heiraten wollte, war bei ihnen, ebenso ihr Vater. Er machte einen Scherz, und alle vier legten die Köpfe in den Nacken und lachten, doch ihr Gelächter ging im Klagen der Dudelsackpfeifen unter.
Geister. Allesamt nichts als Geister, die sie an diesem stürmischen Sommertag heimsuchten, um sie wieder einmal zum Weinen zu bringen.
Der Webstuhl war ein Trost für sie. Sie war kaum groß genug gewesen, um auf der geschnitzten Bank zu sitzen, als sie das Weben erlernte. Alle Erinnerungen in ihrem Leben waren mit den Bewegungen ihrer Finger verknüpft und der Berührung der Fäden. Sie hatte am Webstuhl gesessen, als die Nachricht von der Ankunft des Prinzen am Loch nan Uamh kam. Sie hatte gerade rechtzeitig ein Tuch fertiggestellt, um ihrem Vater den Überwurf über die Schulter legen zu können, bevor er mit seinem Söhnen auszog, um Schottlands rechtmäßigem König auf den Thron zu verhelfen. Und sie war auch hier beschäftigt gewesen, als vom Culloden Moor die Nachricht über die dortigen Verluste kam.
Das Cottage war ihr nie so groß erschienen wie in diesem letzten Jahr. Der Innenraum war vor langer Zeit weiß getüncht worden, der Lehmboden festgestampft von den Füßen vieler Generationen, bis er so glatt war wie Stein. Das Mobiliar war schlicht, aber stabil – ein großer Eichentisch mit sechs Stühlen, ein hoher Schrank, der den Schatz ihrer Mutter beherbergte, einen Wasserkrug aus feinem Porzellan und eine Waschschüssel mit einem violetten Blumenmuster. In der Ecke standen hinter zwei Trennwänden, die ihr Vater eingezogen hatte, das Bett ihrer Eltern und ihres. Ihre Brüder hatten unter dem Dach geschlafen, wohin man über eine Leiter gelangte, die an der Wand lehnte.
Jetzt war Leitis die einzige Bewohnerin des Cottage. Ihr Vater, Fergus, James, Marcus – sie alle waren tot. Ihre Mutter war ein paar Wochen nach dem Verlust ihrer Söhne und ihres Ehemannes beinahe erleichtert gestorben.
Die Dudelsackpfeifen wurden lauter, setzten sich gegen den in der Ferne grollenden Donner durch. Das MacRae-Klagelied schwoll an, die Musik drang in ihre Glieder und bis auf den Grund ihrer Seele.
Erschrocken öffnete sie die Augen, als sie begriff, dass die Melodie für eine Erinnerung zu klar klang. Gefährlich und töricht.
O Gott, nein – bitte, nicht schon wieder Hamish.
Sie stand auf und schob die Bank unter den Webstuhl. An der Tür blieb sie stehen, legte eine Hand an den Rahmen und ballte die andere in den Falten ihres Kleides zur Faust. Nein, es war kein Traum und auch keine Einbildung, sondern ihr Onkel, der den Engländern trotzte.
Vielleicht hörten die Soldaten es nicht, und die Leute von Gilmuir müssten nicht die Folgen von Hamishs Trotz erdulden, dachte sie, doch im selben Moment schalt sie sich für ihre Dummheit: Die Dudelsackmusik scholl weit über Berg und Tal.
Sie nahm ihr Umhangtuch von dem Haken neben der Tür, schlug es um Kopf und Schultern und eilte an Malcolms kümmerlichem Gärtchen vorbei und zwischen zwei flachen Erdhügeln hindurch. Ein ausgetretener Pfad führte in die Hügel hinauf. Sie kannte ihn gut.
Der Wind presste das Kleid an ihren Körper und wehte ihr Haar nach hinten. In diesem Augenblick war er ein Geliebter, der ihre Knöchel, ihre Handgelenke und ihre Kehle liebkoste, sie mit Küssen überschüttete, die nach Feuchtigkeit und Sonne schmeckten.
Ein Blitz zuckte herab, machte ihr klar, dass es nicht klug war, bei Gewitter einen Hügel zu erklimmen. Doch von der Natur war weit weniger zu befürchten als von den Menschen – das hatte sie in diesem letzten Jahr gelernt.
An den sanften Hängen wuchs eine Vielzahl von Blumen. Primeln mit gelben Stempeln und leuchtend rosa Blütenblättern nickten im Wind, als hießen sie sie willkommen. Stachelige Disteln trugen, kerzengerade und hochgewachsen, stolz ihre großen gelben oder violetten Köpfe. Die Glockenblumen mit ihren zarten Stengeln und blassblauen, hängenden Blüten waren Leitis’ Lieblinge. Sie waren trotz ihrer zerbrechlichen Erscheinung widerstandsfähig und gediehen.
Das Tal war auf einer Seite dicht bewaldet. Mächtige Kiefern umkränzten einen Hügel, von dem man einen weiten Blick über das Land hatte. Dorthin
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