Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Erinnerung an Sonne und Wärme wie einen kostbaren Schatz in sich trägt.
Jetzt, im Dezember, haben wir wenigstens noch Weihnachten vor uns. Nicht, daß mir Weihnachten allzuviel bedeuten würde, aber es stellt doch einen kleinen Glanzpunkt in einer dunklen Zeit dar. Früher habe ich das Fest geliebt. Aber da war das Haus auch noch voller Menschen, voller Stimmen und Gelächter und Streitereien. Alles wurde geschmückt, wochenlang wurde gebacken und gekocht, und es fanden Partys statt und festliche Diners. Niemand konnte ein Fest so gut organisieren wie meine Mutter. Ich glaube, es war ihr Tod, mit dem meine Freude an Weihnachten dahinschwand.
Laura, die gute, alte Laura, meine letzte Gefährtin, bemüht sich, mir alles so schön wie möglich zu gestalten. Vorhin hörte ich, wie sie die Kisten mit dem Weihnachtsschmuck vom Dachboden holte. Nun tönen unten die passenden Lieder vom Plattenspieler, und sie müht sich mit den Tannengirlanden über den Kaminen ab. Wenigstens ist sie beschäftigt.
Sie hängt rührend an mir und an dem Haus, aber oft geht sie mir auf die Nerven, wenn sie wie ein kleiner Hund hinter mir hertrabt und mich aus diesen ängstlichen Kinderaugen anstarrt. Laura ist vierundfünfzig Jahre alt, aber sie trägt immer noch den Ausdruck
eines verschreckten Mädchens im Gesicht. Und das wird sich auch nicht mehr ändern. Sie war noch jung während des Krieges, als sie zuviel Schlimmes hat mitmachen müssen, und von der psychologischen Behandlung von Traumata wußte man damals kaum etwas. Man hoffte, daß sich die Dinge von selber regelten, aber manchmal taten sie das eben nicht.
Das war auch das Verhängnis meines Bruders George. Genau wie Laura schaffte er es nicht, die Schrecken aus eigener Kraft zu überwinden. Es gibt solche Menschen. Sie können die Verheerungen nicht aufarbeiten, die das Schicksal in ihren Seelen anrichtet.
Draußen wird es langsam dunkel. Ein paar Schneeflocken wirbeln plötzlich herum. Ich freue mich auf den Abend. Ich werde vor dem Kamin sitzen und einen alten Whisky trinken, und Laura wird neben mir sitzen und stricken und hoffentlich im wesentlichen den Mund halten. Sie ist nett, aber nicht besonders geistreich oder scharfsinnig. Ich könnte jedesmal aus der Haut fahren, wenn sie über Politik redet oder über einen Film, den sie im Fernsehen gesehen hat. Es ist immer alles so durchschnittlich bei ihr, und sie kann nur nachplappern, was andere ein dutzendmal vorgekaut haben. Aber sie tut eben auch nichts, um ihren Verstand zu schulen. Sie liest nie ein richtiges Buch, immer nur diese Miles & Boone -Liebesromane. Dann seufzt sie vor Wonne und identifiziert sich ganz und gar mit der rosagewandeten, bildschönen Heldin auf dem Titelbild, die in den Armen eines starken, dunkelgelockten Mannes liegt und ihm ihre schwellenden Lippen zum Kuß darbietet. Laura ist dann stets so hingerissen, daß sich für kurze Zeit sogar der Ausdruck von Angst und Schrecken in ihren Zügen verliert.
Vielleicht werde ich später sogar noch einen zweiten Whisky nehmen, auch wenn sie mich dann wieder mißbilligend anblickt und sagt, daß zuviel Alkohol ungesund sei. Lieber Himmel, ich bin eine alte Frau! Was macht es denn noch aus, ob ich trinke und wieviel?
Außerdem habe ich einen Grund zum Feiern, aber davon werde ich Laura nichts erzählen, sonst fängt sie an zu lamentieren. Ich habe vorhin das Wort ENDE unter meinen Roman gesetzt, und nun fühle ich mich wie von einer schweren Bürde befreit. Ich weiß nicht, wieviel Zeit mir noch bleibt, und es war mir ein unerträglicher
Gedanke, ich könnte nicht fertig werden. Aber nun ist es geschafft, und ich kann mich in aller Ruhe zurücklehnen und abwarten.
Ich habe die Geschichte meines Lebens geschrieben. Vierhundert Seiten, sauber getippt. Mein Leben auf Papier. Na ja - fast mein Leben. Die letzten dreißig Jahre habe ich unerwähnt gelassen, da ist nicht mehr viel passiert, und wer interessiert sich schon für all die Malaisen, die das tägliche Leben einer alten Frau bestimmen? Nicht, daß ich überhaupt irgend jemandem die Geschichte aushändigen werde! Aber mein Alter zu beschreiben hätte mir auch selber keinen Spaß gemacht. Ehrlicherweise hätte ich das Rheuma erwähnen müssen, die nachlassende Sehkraft, die Gicht, die meine Finger allmählich zu Klauen krümmt, und dazu hatte ich keine Lust. Man soll nichts übertreiben, auch nicht die Aufrichtigkeit.
Ich bin ohnehin ehrlich genug verfahren. An keiner Stelle habe ich behauptet,
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