Mythor - 088 - Kampf um die Burg
1.
Wie ein Band strahlender goldfarbener Sterne zog der Ring der Lagerfeuer sich um die Burg. An jedem Feuer saßen etliche Belagerer, brieten ihr Fleisch, ließen sich’s wohl sein und freuten sich darauf, in den nächsten Tagen die Burg zu stürmen. Sie scherzten, tranken Bier und Wein oder stellten den Marketendern nach oder den Buhlmännchen, die es wohl in jedem Heer in Haufen gab.
So ungefähr stellte sich Phyter die Szenen vor, die sich jenseits der Befestigungsanlagen von Burg Narein abspielten. Er stand auf der Spitze des höchsten Turmes und schaute über das Land, das vom Halbmond beschienen wurde. Wolken trieben über den nächtlichen Himmel Ganzaks; der Herbst hatte gerade begonnen.
Dieser Tag war kalt gewesen. Phyter zog den Mantel enger um die Schultern.
Eigentlich hatte er dort oben nichts zu suchen. Die Zinnen und Wehrgänge der Burg waren für die Wachen bestimmt, die mit gleichmäßigem Schritt die Wälle abmarschierten und nach dem Rechten sahen.
Von der eigentlichen Burg waren die Belagerer nicht weit entfernt. Die Kernburg selbst - im Innern in mehrere Sturmabschnitte zusätzlich unterteilt - war umgeben von einem weiten Kranz von Gebäuden, in denen die Menschen wohnten, die Narein bevölkerten. Es gab dort Unterkünfte für die Feldsklaven, für herumziehende Händler, die auf den Marktplätzen ihre Waren feilboten. Es gab Silos und Kaschemmen, kleinere und größere Handelshäuser, Badestuben und vielerlei mehr.
All dies wurde umgeben von der ersten, der äußersten Mauer. Sie war gesichert mit Wall, Graben und Palisaden, und es würde die Belagerer erhebliche Mühe kosten, auch nur dort einzudringen. Auf dem äußersten Wall der Festung schritten die Wachen ihre Runden ab. Sie würden als erste Gelegenheit haben, sich im blutigen Kampf mit Ruhm und Ehren zu bedecken. Phyter hätte am liebsten dort draußen seinen Abendspaziergang gemacht, sich vielleicht sogar herausgeschlichen an die Lagerfeuer der Horsikerinnen, um dort zu lauschen und wertvolle Kunde zu gewinnen über die Pläne der Gegnerinnen.
Man ließ ihn nicht, das war Phyters stiller Verdruß. Er sah nach Norden, wo sich jetzt Mythor herumtrieb. Der hatte bewaffnet die Burg verlassen dürfen, wie sich Phyter neidvoll erinnerte.
Unter ihm wurde gerade eine Wache abgelöst. Alles war ruhig, und wäre der Belagerungsring nicht gewesen, hätte man sich schwerlich ein friedfertigeres Bild ausmalen können. So ähnlich sah es aus, wenn die Herrinnen von Narein eines ihrer berühmten Feste gaben. Dann strömten Schaulustige von nah und fern her, und dann wurde Narein von einem ähnlichen Feuerkranz umgeben wie in dieser Nacht.
Phyter wollte sich gerade anschicken, den Turm zu verlassen, hinabzusteigen in die Stille seiner Kammer und zur Chronik von Narein die Bemerkung hinzufügen, daß es an diesem Abend wieder ruhig gewesen war, als er drüben etwas bemerkte.
Eines der Feuer bei den Belagerern loderte plötzlich besonders hell auf, und wenig später stieg eine funkenspeiende Feuerkugel in den dunklen Himmel auf und kam herangeflogen.
»Schlecht gezielt«, bemerkte Phyter sachkundig.
Eine der großen Bailisten der Belagerer hatte eine Kugel aus Werg und Pech in die Burg geschossen. Jenseits der ersten Mauer blieb das Geschoß liegen.
»Feuer!« schrie eine gellende Stimme. »Brandwachen, her zu mir.«
»Nichts Neues fällt ihnen ein«, murmelte Phyter. Mit diesen Handlungen begannen alle Eroberungsversuche, die die Horsikerinnen bisher unternommen hatten - als erstes wurde versucht, einen Teil des Vorwerks einzuäschern. Jetzt kamen in rascher Folge die Geschosse herangeflogen. Klatschend barsten die Pechkugeln auf dem Boden, brennende Fetzen flogen umher, verfingen sich in den Häusern, und die sonnentrockenen Dächer fingen beinahe sofort Feuer.
In der Vorburg wurde es lebendig. Männerkreischen war zu hören, dazwischen die energischen Stimmen der Kriegerinnen. Zwei von Swiges Amazonen leiteten die Abwehr und die Feuerbekämpfung.
Der Sommer war regenarm gewesen, auch das Holz der Hauskonstruktionen war zapftrocken. Nach kurzer Frist brannte eine ganze Häuserzeile. Das Geschrei wurde lauter.
Vieh wurde aus den lichterloh brennenden Stallungen geholt und in Sicherheit gebracht. Menschen konnten ihre Behausungen im letzten Augenblick verlassen, schwer bepackt, bevor die Hütten prasselnd zusammenstürzten.
Phyter verfolgte das Geschehen vom Turm aus. Er konnte im Licht der brennenden Häuser auch sehen, wie zehn
Weitere Kostenlose Bücher