Die rote Antilope
auch, ob sie seine Gedanken lesen könnten. Immer öfter hielten die Ochsentreiber die Tiere genau in der Sekunde an, als er seine Hand erheben wollte, um das Zeichen zu geben, daß es Zeit sei, eine Mittagsrast zu machen oder das Nachtlager aufzuschlagen. Auch darüber hatte er an Matilda geschrieben. Über die unsichtbare Sprache, die zwischen ihm und den vier Männern entstanden war, mit denen er sein Dasein teilte.
Zuweilen versuchte er sich vorzustellen, daß sie lesen könnte, was er schrieb. Würde sie verstehen? Würde es sie überhaupt interessieren? Er empfand eine vage Furcht und einen Stich von Eifersucht, als die einzige Antwort, die er sich geben konnte, dieses Bild war: wie sie mit nackten Brüsten und hochgeschobenem Rock auf einem ebenso unbekannten Mann saß.
Am achtundzwanzigsten Tag kam es zu einem Zwischenfall, der sich für den Mann aus Hovmantorp als von entscheidender Bedeutung erweisen sollte. (Er hatte angefangen, sich in Gedanken selbst so zu nennen, eher die Bestimmung eines geographischen Ausgangspunkts als ein nichtssagender Name. Er dachte, daß der Name Bengler nicht mehr existierte. Er war Hans Hovmantorp oder ganz einfach ein Mann, der einmal an dem Fluß entlanggelaufen war, welcher durch den unbedeutenden kleinen Ort in Småland floß.)
Gerade an diesem Tag, dem achtundzwanzigsten nach ihrem Aufbruch aus Kapstadt, war in den Morgenstunden ein kräftiger Wind vorbeigezogen. Er hatte sich ein Taschentuch vors Gesicht binden und die Augen unentwegt mit der Hand abschirmen müssen, um den Sand fernzuhalten. Kurz vor zehn hatte sich der Wind gelegt und wieder war Stille eingekehrt. Er hatte eben das Taschentuch abgestreift, als die Ochsen ruckartig stehenblieben. Amos, der gerade dran war, den vordersten Ochsen zu führen, hatte die Peitsche durch die Luft sausen lassen. Aber die Ochsen hatten sich geweigert weiterzugehen. Nicht einmal nach drei oder vier Schlägen auf den Rücken des Leitochsen hatte eins der Tiere sich bewegt. Es schien, als wären sie auf eine unsichtbare Mauer gestoßen oder stünden am Rand eines Abgrunds. Er merkte, daß das unerwartete Verhalten der Ochsen die Treiber beunruhigte. Auf welche Weise er am besten eingreifen sollte, wußte er nicht. Es gab keine Logik in dem, was geschah, nichts, was den Ochsen im Weg gelegen hätte. Trotzdem hatten sie mit einem Ruck angehalten.
Er nahm das Gewehr von der Schulter und ging zu den Ochsen hin. Sie standen völlig regungslos da, und er meinte, in ihren großen, müden Augen Unruhe lesen zu können. Aber auf der Erde vor ihnen war nichts. Keine Schlange, keine Unebenheit. Der Sand war völlig glatt. Ein paar Steine ragten daraus hervor. Sonst nichts. Da hatte er Amos zu sich gerufen und die Arme ausgebreitet, wie um zu fragen, wieso die Ochsen sich nicht bewegten. Amos hatte den Kopf geschüttelt, er wußte es nicht. Er hatte gespürt, wie ihm der Schweiß herunterlief. Nicht der Schweiß, der von der brennenden Sonne kam, sondern der, den seine zunehmende Unsicherheit hervortrieb. Es lag in seiner Verantwortung, daß die Ochsen sich wieder in Bewegung setzten. Er war noch einmal um die Tiere und den Wagen herumgegangen und hatte so getan, als würde er die Räder inspizieren, während er nach einer Lösung suchte. Aber da das Problem unbekannt war, gab es keine Lösung. Die Ochsen waren aus Gründen stehengeblieben, die er nicht zu durchschauen vermochte.
Aus purem Zufall kam er dann auf die Lösung des Rätsels. Er war ein paar Schritte zur Seite gegangen, direkt vor dem Leitochsen, und hatte gegen einen Stein getreten, der aus dem Sand ragte. Da hatte er ein Stück dunkles Holz entdeckt. Mit dem Fuß hatte er den Sand weggeschoben und zu seinem Erstaunen festgestellt, daß er gerade ein Stück von einem Bogen freigelegt hatte. Er hatte die Ochsentreiber zu sich gerufen und auf die Spitze des Bogens gedeutet. Sie hatten sofort angefangen, ein intensives Gespräch zu führen, erst ernst, dann immer erleichterter, und zuletzt waren sie in Gelächter ausgebrochen. Amos und einer der Männer, die er bei sich die Konsonanten nannte, waren in die Knie gegangen und hatten den Sand weggeschaufelt. Bald hatten sie den ganzen Bogen ausgegraben, einen Köcher, ein paar Pfeile, geflochtene Lederriemen und schließlich das Skelett. Nun hatte er begriffen, daß sie auf das Grab eines Buschmanns gestoßen waren. Wackman hatte an einem der Abende im Bordell erzählt, daß die Buschmänner ihre Toten an einer beliebigen
Weitere Kostenlose Bücher