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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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aber ein Ausdruck meines Widerwillens. Ich habe nie die endgültige Erklärung dafür gefunden, wieso ich die Volkstracht von Vänersborg mitgebracht und meinen Leibdiener hineingesteckt habe.

    Dies war eine Situation, die zu verstehen Bengler keinerlei Voraussetzungen mitbrachte. Nach zwei Monaten in der Wüste hatte er eine Handelsstation erreicht, in der es einen Schweden namens Wilhelm Andersson gab, der aus Vänersborg kam und seinen Diener die Volkstracht seiner Heimatstadt tragen ließ.
    - Ich habe versucht, ihm beizubringen, wie man Polka tanzt, sagte er. Aber es hat keinen Sinn. Diese Leute ziehen es vor zu hopsen. Ich habe versucht, ihm zu erklären, daß Gott keine hopsenden Menschen mag. Gott ist ein hochstehendes Wesen, höher als ich, aber diese Ansicht ist uns doch gemeinsam, wenn schon getanzt werden soll, dann in geordneten Formen, im Dreiviertel- oder Viervierteltakt. Aber die hopsen einfach weiter und wackeln mit den überraschendsten Körperteilen.

    Er bot Bengler Wasser und Whisky an. Bengler dachte an seine Ochsentreiber. Andersson erriet sofort seine Gedanken.
    - Für die ist gesorgt, sagte er. Sie bekommen Wasser, Essen, Gesellschaft, dürfen lachen, und in der Nacht gibt es Frauen, die sie wärmen und sich öffnen. Aber die Ochsen sollten Sie erschießen. Die haben Sie schon fast zu Tode geschunden. Was mich zu der Frage veranlaßt: Was machen Sie eigentlich hier?
    Bengler fühlte den Schwindel kommen, kaum daß er am Whisky genippt hatte. Wie soll man etwas erklären, das man nicht einmal sich selber erklären kann, dachte er. Dann empfahl er sich, auch für ihn selbst überraschend, indem er in Ohnmacht fiel.

    Als er aufwachte, lag er in der Hängematte. Der schwarze Mann in der Volkstracht schwang etwas über seinem Kopf, das aussah wie ein Wedel aus Ochsenhaut. Irgendwo im Haus hörte er Andersson einen Choral singen, falsch und wütend, als hasse er die Melodie. Bengle r schloß die Augen und dachte, in gewisser Weise sei er jetzt am Ziel. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand, genausowenig wie er wußte, wer der eigentümliche Mann war, dem er das Geschwür aufgeschnitten hatte. Aber trotzdem war er angekommen. Er war in diesem endlosen Sandmeer auf einem Uferstreifen an Land gekrochen. Ich sollte ein Gebet sprechen, dachte er. Das nicht so falsch ist wie der Choral, den ich gerade höre. Aber zu wem soll ich beten? Zu Matilda? Sie glaubt nicht an Gott. Sie fürchtet Gott auf dieselbe Weise, wie sie den Teufel fürchtet. Sie hat genausoviel Angst vor dem Himmel wie vor der Hölle. Er sprach kein Gebet. Versuchte den Blick des schwarzen Mannes einzufangen, der ihm Luft zufächelte. Dessen Augen aber waren weit weg, über Benglers Kopf.

    Plötzlich überkam ihn das Gefühl, er befinde sich mitten in der Welt. Mitten im Zentrum von etwas, das zum erstenmal in seinem Leben ganz wirklich war. Etwas, das von ihm verlangte, daß er dazu Stellung bezog, eine Ansicht hatte, eine Wahl traf.

    Weiter kam er jedoch nicht mit seinen Gedanken. Er merkte, daß eine starke Übelkeit der eigentliche Grund für sein Erwachen war. Hastig lehnte er sich aus der Hängematte, um sich zu übergeben. Der schwarze Mann legte den Wedel nieder und wölbte seine Hände, um das Erbrochene aufzufangen. Bengler war nicht imstande, sich wegzudrehen. Er erahnte eine Form von Liebe darin, daß ein fremder Mann in der Volkstracht von Västergötland sein Erbrochenes in seinen gewölbten Händen entgegennahm. Er wußte, daß seine Schlußfolgerung falsch war, daß er sie später korrigieren würde. Aber in diesem Moment war es Liebe. Eine Gnade, sich in die Hände eines Mitmenschen erbrechen zu dürfen.

    Ermattet sank er aufs Kissen zurück. Der schwarze Mann wischte ihm das Gesicht ab. Andersson stand noch immer irgendwo und kreischte seinen Choral, der eine unendliche Zahl von Versen zu haben schien. Wiederholte er sich vielleicht? Oder sang er ihn in verschiedenen Sprachen? Obwohl Bengler sehr müde war, ganz kurz davor, in den Schlaf zu sinken, versuchte er zuzuhören. Da stellte er fest, daß Andersson nicht den sakralen Text sang. Die Melodie des Chorals füllte er mit eigenen Worten aus. Er beschimpfte jemanden namens Lukas, der schon längst einen Zaun hätte reparieren sollen. Dann sang er von einem Floß, mit dem er einst auf dem Vänersee gesegelt war, ging aber bald wieder dazu über, Lukas zu verwünschen, und Bengler wurde klar, daß Andersson entweder verrückt war oder betrunken.

    Dennoch fühlte

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