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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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würde es dauern, bis er bestätigt bekam, daß es wahr war? Daß der Vater tatsächlich genau in dieser Nacht aufgehört hatte, mit seinen Kiefern zu mahlen?

    Nach zwei Wochen in der Wüste hatte er sein erstes Insekt gefangen. Es war Amos, der es gefunden hatte. Ein sehr kleiner Käfer mit grünblauem Panzer, der sich langsam durch den Sand bewegte. In eine m der britischen entomologischen Lexika, die zu seiner Ausrüstung gehörten, hatte er den Käfer identifizieren können. Zu seiner Überraschung las er, daß die Buschmänner aus dem Sekret dieses Käfers ein Gift herstellten, das tödlich war. Er steckte den Käfer in eines seiner Gläser, füllte sie mit Spiritus und etikettierte es. Langsam begann er, seinen Wagen in ein Museum zu verwandeln.
    Noch immer war aber die Reise selbst das Wichtigste. Er hatte beschlossen, daß die Handelsstation, die sich irgendwo vor ihnen befand, den Ausgangspunkt seiner Expedition bilden sollte. Von dort aus würde er die Jagd auf Strauße organisieren, von dort aus würde er seine Suche nach dem unbekannten Insekt in ganz anderer Weise planen können. Dort würden Menschen sein, mit denen er reden könnte. Er stellte sich vor, es würde dort alles geben, was ein Leben möglich machte. Ein Gesangbuch, ein altes Harmonium, Kassenbücher und regelmäßige Mahlzeiten. Vage hoffte er außerdem, daß es dort eine Frau geben würde, die auf ihn wartete, eine, die ihn auf die gleiche Weise wie Matilda einmal in der Woche besuchen würde, um sich auf ihn zu setzen und anschließend ein Glas Portwein zu trinken.
    Das gehörte zu den letzten Dingen, die er in Kapstadt gekauft hatte, bevor er sich von Wackman verabschiedete. Zwei Flaschen portugiesischen Portwein.

    Aber die verdammten Karten stimmten nicht. Oder der ständig treibende Sand bildete eine Landschaft, die sich nicht kartieren ließ. Vergeblich hatte er den Horizont nach einer gezackten Bergkette abgesucht, die sich der Karte zufolge dort befinden sollte. Aber nirgends hatte er sie entdecken können. Er überlegte, ob es eine geheimnisvolle Störung im Sand gäbe, die bewirkte, daß sein Kompaß nicht zuverlässig war. Manchmal befiel ihn in der Morgendämmerung eine Verwirrung, und er meinte, die Sonne an einem Punkt über dem Horizont aufsteigen zu sehen, wo am vorigen Tag nicht Osten gewesen war. Da er niemanden hatte, mit dem er sprechen konnte, fing er an, laut mit sich selbst zu reden. Damit die Ochsentreiber nicht glauben sollten, er sei dabei, den Verstand zu verlieren, kaschierte er seine Selbstgespräche als religiöse Rituale. Er faltete die Hände, mitunter fiel er auf die Knie, während er laut mit sich selbst darüber beriet, wieso zum Teufel die Bergkette nicht dort war, wo sie hingehörte. Warum weder die Landschaft noch die Karten stimmten. Während dieser Rituale hielt er die Ochsentreiber immer auf Abstand. Zuweilen nutzte er auch die Gelegenheit, um sie zu schelten, wegen ihrer Faulheit und ihrer ungewaschenen Körper, während er mit gefalteten Händen auf den Knien lag.

    Die Tage waren arm an Ereignissen. Die Sonne brannte mit ihrem glühenden Schein von einem wolkenlosen Himmel. Die Ochsen bewegten sich träge, als wäre der Sand in Wirklichkeit ein Sumpf. Ab und zu wurde die Stille von einem Peitschenknall durchbrochen. Es kam auch vor, daß die Ochsentreiber plötzlich unbegreifliche Gesänge anstimmten, die stundenlang andauern konnten oder bereits nach wenigen Minuten jäh abbrachen.

    Er hätte gern gewußt, was sie von ihm dachten. Wie hatte Wackman sie zu überreden vermocht, ihre Familien zu verlassen, um ihm in die Wüste zu folgen? Welche Botschaft oder Belohnung erwarteten sie von ihm? Ihr Lohn war schlecht, das Essen knapp, das Wasser streng rationiert. Trotzdem folgten sie ihm, einem Ziel entgegen, das er nicht auf der Karte zu zeigen imstande war. Eines Tages wird es zu Ende sein, schrieb er an Matilda. Menschen erdulden alles bis zu einem gewissen Punkt. Aber wenn sie einsehen, daß die Reise unbegreiflich ist, werden sie sich vielleicht gegen mich wenden. Sie sind zu viert, und ich bin allein. Ich habe beschlossen, Amos als ersten zu erschießen, falls sie mich bedrohen. Er scheint ihr Führer zu sein, oder wenigstens der Stärkste. Ihn werde ich mit dem Gewehr erschießen. Dann gilt es, die drei anderen mit meinem Revolver nicht zu verfehlen. Jeden Morgen und jeden Abend kontrolliere ich meine Waffen, um zu sehen, daß kein Sand in die beweglichen Teile geraten ist.
    Er überlegte

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