Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
bald den ersten Teilnehmer der Expedition würden begraben müssen. Aber am Morgen war das Fieber ebenso schnell verschwunden, wie es gekommen war.

    Sie gingen weiter. Kurz vor der Mittagsrast begann der andere Ochsentreiber eifrig zu winken und deutete auf einen Punkt, der westlich von ihrem Reiseweg lag. Es dauerte lange, bis er zu entdecken vermochte, was der Ochsentreiber gesehen hatte. Erst war es, als würde der Sand nur vibrieren. Aber dann konnte er eine Baumgruppe erkennen und ein paar Häuser. Plötzlich hörte er ein Pferd in der Ferne wiehern. Die Ochsen antworteten mit mattem Gebrüll.
    In diesem Moment brach er in Tränen aus. Er drehte sich weg, damit Amos und der andere Mann seine Schwäche nicht bemerkten.
    Schon bald hatte er sich wieder gesammelt. Er wischte die Spuren der Tränen ab und trieb die Ochsen an. Sie hatten jetzt die Richtung geändert. Zum erstenmal hatte er ein Ziel. Viel später sollte er vergeblich versuchen, sich ins Gedächtnis zu rufen, was er tatsächlich in dem Augenblick empfunden hatte, als sie die Häuser entdeckten und das Pferd wiehern hörten. Aber er fand nur eine erleichterte Leere.

    Kurz vor drei Uhr nachmittags waren sie am Ziel. Auf der Treppe des größten Hauses stand ein Mann und erwartete sie. An der rechten Hand fehlten ihm zwei Finger.

    In klingendem Schwedisch sagte er, er heiße Wilhelm Andersson.

    Für ihn gab es nicht den geringsten Zweifel, daß Hans Bengler Schwede war.
    Kein anderer als ein schwedischer Schuster war imstande, solche Lederstiefel anzufertigen wie die, die er trug.

    6

    Wilhelm Andersson begrüßte Bengler. Sein Handschlag war so kräftig, daß es sich anfühlte, als wolle er ihm die Hand zerquetschen. Dann zog Andersson sein Hemd aus und bat Bengler, ihm ein Geschwür zwischen den Schulterblättern aufzuschneiden, das für seine eigenen Hände unerreichbar war. Bengler starrte auf die pralle Geschwulst und erinnerte sich sofort daran, wie er im Anatomischen Theater umgekippt war. Hastig fuhr er sich über die Narbe oberhalb des Auges.

    - Das sollte ich vielleicht besser nicht tun. Ich kann kein Blut sehen.

    - Blut wird nicht herauskommen. Aber bestimmt gelbgrüner Eiter und möglicherweise ein paar Würmer oder Fliegenlarven.
    Andersson spuckte auf ein Messer mit Elfenbeingriff und hielt es Bengler hin. Sein Rücken war mit eigentümlichen Rissen und Wülsten übersät. Es schien, als hätte sich ihm die Wüstenlandschaft in die Haut geritzt.
    - Ich habe noch nie ein Geschwür aufgeschnitten.
    - Halten Sie die Spitze genau in die Mitte und drücken Sie fest zu. Wenn das Geschwür sich öffnet, schneiden Sie es nach unten auf. Und drehen Sie das Gesicht weg, damit es Ihnen nicht in die Augen spritzt.

    Bengler hielt die Messerspitze an die blaurote Geschwulst, schloß die Augen und stieß zu. Dann blinzelte er kurz und führte einen Schnitt nach unten. Ein zäher Brei floß über Anderssons Rücken.
    - Nehmen Sie das Handtuch hier zum Abwischen. Anschließend gibt es etwas zu essen.
    Immer noch ohne hinzusehen wischte Bengler den Eiter vom
    Rücken und ließ das Handtuch auf den Boden fallen. Jetzt sickerte Blut aus der Wunde, und Andersson reichte ihm einen weißen Stofflappen.

    - Legen Sie den auf die Wunde. Er bleibt kleben. Hält dann von selbst. Schweiß klebt.

    Bengler schluckte und schluckte, um sich nicht erbrechen zu müssen. Andersson streifte das Hemd über, knöpfte es schief zu, so daß ein Zipfel herabhing, merkte es, machte sich aber nicht die Mühe, es zu ändern.
    Erst jetzt merkte Bengler, daß Andersson einen scheußlichen Gestank verströmte. Er versuchte, sich einen Schritt zurückzuziehen und atmete durch den Mund. Aber zugleich fiel ihm ein, daß er sich selber seit fast zwei Monaten nicht einmal notdürftig gewaschen hatte. Das Waschwasser hatte er als erstes rationiert, und zwar schon eine Woche nach dem Aufbruch aus Kapstadt.
    Andersson führte ihn in ein Zimmer, das mit ausgestopften Tieren angefüllt war. Es roch stark nach Verwesung und Formalin. Mitten im Raum war eine Hängematte aufgespannt, ähnlich der, in der Bengler während seiner Reise auf Robertsons schwarzem Schoner geschlafen hatte. Es dauerte einen Moment, bis er entdeckte, daß ein kleinwüchsiger schwarzer Mann regungslos in einer Ecke stand. Zunächst hatte er ihn für ein ausgestopftes Tier gehalten. Aber dann bemerkte er, daß es ein lebendiger Mensch war.

    - Die einzige Form von Heimweh, die ich mir gestatte, sagte Andersson. Oder

Weitere Kostenlose Bücher