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Die Rückkehr der Jungfrau Maria - Roman

Die Rückkehr der Jungfrau Maria - Roman

Titel: Die Rückkehr der Jungfrau Maria - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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begabteste Studentin des Landes hier studiert hat? Was glauben Sie, Maria? Sie heißen doch Maria, oder?«
    »Ja, ich heiße Maria.«
    »Wie erklären Sie sich dieses Verschwinden sämtlicher Nachweise bezüglich Ihrer Person und Ihrer Befähigung?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sie wissen es nicht?«
    »Nein.«
    »Wie steht es um die Christus-Universität, wenn die akademischen Erfolge einer Person gelobt werden, die noch nicht einmal eingeschrieben ist oder jemals eine einzige Prüfung abgelegt hat? Wollt ihr mir vielleicht erzählen, dass die besagte Doktorarbeit sowie zahlreiche weitere Aufsätze dieser Person sich durch ein unerklärliches Wunder einfach in Luft aufgelöst haben?«
    Die Leute tauschten peinlich berührte Blicke. Sebastian glotzte Maria an, als wolle er sie mit den Augen verschlingen.
    »War es vielleicht das, Maria? Ein Wunder?«
    »Ich weiß nicht, was es war.«
    »Es ist also Ihrer Ansicht nach nicht ausgeschlossen, dass es ein Wunder war?«
    Maria antwortete nicht. Im Saal kam Stimmengewirr auf, und die Zuschauer steckten ihre Köpfe zusammen. Nach einer Minute ließ Sebastian seinen Blick langsam über die Versammlung schweifen, und alle verstummten. Entschlossen fuhr er fort:
    »Kennen Sie das Buch
Die Rückkehr der Jungfrau Maria
von Professor Johannes von Blomsterfeld, der vor zehn Jahren an dieser Universität gelehrt hat?«
    »Ich habe davon gehört. Seine Schriften waren wohl sehr umstritten. Aber meines Wissens ist das Buch nirgendwo erhältlich.«
    »Sie haben es also nicht gelesen?«
    »Nein.«
    »Sie kennen den Inhalt dieses Buches nicht?«
    »Nein.«
    Der Bischof schnaubte verächtlich und konstatierte:
    »Wissen Sie, ich glaube, Sie haben das Buch
Die Rückkehr der Jungfrau Maria
von Professor Johannes von Blomsterfeld heimlich gelesen und kennen dessen Inhalt sehr wohl.«
    Maria riss die Augen auf. Warum sprach er über dieses Buch? Warum war die Atmosphäre im Saal so aufgeladen? Sie fragte sich, ob man sie womöglich durchfallen lassen wollte, weil sie ein Buch nicht gelesen hatte, das nirgendwo erhältlich war. Seufzend sagte sie:
    »Es kann schon sein, dass ich etwas über den Inhalt dieses Buches weiß.«
    »Sie wollen uns also sagen, dass Sie wissen, was in dem Buch
Die Rückkehr der Jungfrau Maria
steht, obwohl Sie es nie gelesen haben.«
    »Nein, mein Herr, ich meinte, ich lese so viel …«
    »Als Nächstes wollen Sie uns vielleicht weismachen, Sie seien die Reinkarnation der Jungfrau Maria.«
    Maria lächelte, aber im Saal war es totenstill. Sie hatte mit allgemeinem Gelächter gerechnet. Sie blickte zu Dr. Peter, in der Hoffnung auf Verständnis, aber er sah sie genauso erwartungsvoll an wie alle anderen. Maria brach der kalte Schweiß aus. Warum starrten diese gelehrten Männer, die ihr so viel beigebracht hatten und die sie liebte und verehrte, sie plötzlich an wie ein Wunderwerk? Sie merkte, wie sich Tränen in ihren Augenwinkeln sammelten, nahm sich aber fest vor, sie zurückzuhalten. Dann spürte sie, dass alles vorbei war, dass sie sich um keine weiteren Fragen und keine Antworten mehr scheren würde. Im selben Momentfiel eine schwere Last von ihr ab. Maria spürte, wie sich in ihrem Herzen Frieden ausbreitete, und lächelte alle im Saal offen an. Sie erhob sich und sagte:
    »Liebe Zuhörer, ich möchte Ihnen, bevor ich gehe, eine kleine Geschichte erzählen.«
    Sie machte eine Pause, denn sie wusste nicht, welche Geschichte sie erzählen wollte. Dann fing sie einfach an:
    »Es war einmal eine Eule, die war die beste Rechtsgelehrte im ganzen Wald. Eines Tages kam eine kleine Drossel zu ihr und wollte ihre Schülerin werden. Da sagte die Eule:
    ›Ich muss leben, so wie du, und das bedeutet, dass ich arbeiten muss. Deshalb kannst du nur von mir lernen, wenn du dafür bezahlst.‹
    ›Aber ich habe nichts‹, sagte die Drossel, ›mein ganzer Besitz bin ich selbst.‹
    ›Du willst Anteil an meinem Wissen haben?‹, fragte die Eule.
    ›Ja, mehr als alles andere.‹
    ›Dann schließen wir einen Vertrag. Ich bringe dir eine Wahrheit bei, und du schuldest mir dafür Arbeit, die meiner Arbeit entspricht, dir eine Wahrheit beizubringen. Ich bringe dir zwei Wahrheiten bei, und du schuldest mir dafür Arbeit, die meiner Arbeit entspricht, dir zwei Wahrheiten beizubringen. Wenn du alle Wahrheiten gelernt hast, die ich dir beibringen kann, gebe ich dir Arbeit, und wenn du für mich gearbeitet hast, sind die Wahrheiten bezahlt, dann besitzt du diese Wahrheiten und kannst

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