Die Rückkehr des Bösen
unseren Schutz für Darling fordern. Und ich war durchaus in der Stimmung, ihm dieses Recht streitig zu machen.
SECHSUNDFÜNFZIGSTES KAPITEL
Die Zeit geht dahin
Immer dann, wenn man es nicht will, bricht der Tag zu früh an. Die Stunden rasen nur so dahin, wo sie sich doch in die Länge ziehen sollen. Der folgende Tag war ebenfalls mit Hinrichtungen ausgefüllt. Diesmal allerdings kam ausnahmsweise der Hinker und sah dabei zu. Er schien zufrieden zu sein, daß wir unsere Sache richtig machten. Er kehrte in meine Unterkunft zurück - wo er es sich in meinem Bett bequem machte. Meine abendliche Visite bei Raven zeigte wenig Veränderungen. Case berichtete, daß er mehrere Male beinahe wach geworden war und manchmal im Schlaf undeutliche Worte aussprach.
»Gieß ihm weiter die Suppe in den Hals. Und scheue dich nicht, nach mir zu rufen, wenn du mich brauchst.«
Ich konnte nicht schlafen. Ich wollte die Baracken durchstreifen, aber dort herrschte fast völlige Stille. Einige Gardisten, die an Schlaflosigkeit litten, strichen durch den Speisesaal. Bei meinem Erscheinen verstummten die Gespräche. Ich dachte kurz daran, zum Blauen Schniedel rüberzugehen. Aber dort hätte man mich auch nicht besser empfangen. Ich stand bei allen auf der Liste.
Eigentlich konnte es nur noch schlimmer werden. Ich wußte, was die Lady meinte, wenn sie von Einsamkeit sprach. Ich wünschte mir, daß ich den Mumm aufbrachte, zu ihr zu gehen, weil ich jetzt in dem Arm genommen werden wollte.
Ich verzog mich wieder in meinen Schlafsack. Diesmal schlief ich doch ein; man mußte mir mit Feuer und Verheerung drohen, ehe ich wieder aufstand.
Vor dem Mittag fegten wir das letzte Schoßtier des Dominators von der Platte. Für den Rest des Tages ordnete die Lady eine Pause an. Am Morgen danach würden wir für den großen Kampf proben. Sie schätzte, daß wir noch etwa achtundvierzig Stunden hatten, bevor der Fluß die Gruft öffnete. Zeit zum Ausruhen, Zeit zum Üben und reichlich Zeit, um den ersten Schlag zu landen.
Am Nachmittag ging Hinker hinaus und flog eine Weile umher. Er hatte gute Laune. Ich nutzte die Gelegenheit, um mein Quartier aufzusuchen und mich dort umzusehen, aber ich konnte nur einige schwarze Holzspäne und etwas Silberstaub entdecken. Beides war in so geringer Menge vorhanden, daß ich es fast übersehen hätte. Er hatte hastig aufgeräumt. Ich faßte das Zeug nicht an. Ich konnte nicht sagen, welche Absonderlichkeiten sich ereignen mochten, wenn ich darin herumstocherte. Ansonsten erfuhr ich nichts. Die Übung für den großen Tag verlief angespannt. Alle waren dabei, sogar Hinker und Bomanz, der sich so sehr im Hintergrund gehalten hatte, daß die meisten ihn schon vergessen
hatten. Die Windwale zogen über den Fluß. Ihre Rochen kreisten und stießen herab. Darling
galoppierte durch eine vorbereitete Schneise auf das Große Grab zu und hielt kurz vor der kritischen Grenze an. Die Unterworfenen und die Gardisten hielten ihre jeweiligen Waffen bereit.
Es sah gut aus. Es sah so aus, als ob es klappen würde. Warum war ich dann davon überzeugt, daß uns ein Riesenärger bevorstand? Sobald unser Teppich aufsetzte, stand Case daneben. »Ich brauche Eure Hilfe«, sagte er zu mir, ohne dabei auf die Lady zu achten. »Er will nicht auf mich hören. Er versucht immer wieder aufzustehen. Er ist schon zweimal lang hingeschlagen.«
Ich sah kurz die Lady an. Sie nickte.
Als ich eintraf, saß Raven schon wieder auf der Bettkante. »Wie ich höre, gehst du den Leuten auf den Wecker. Was nutzt es eigentlich, deinen Arsch aus dem Gräberland zu schaffen, wenn du unbedingt Selbstmord begehen willst?« Langsam hob er den Blick. Er schien mich nicht zu erkennen. Oh, verdammt, dachte ich. Sein Verstand ist hin.
»Hat er irgendwas gesagt, Case?«
»Ein bißchen. Es hat nicht immer einen Sinn ergeben. Ich glaube, er weiß nicht, wie lange er schon hier ist.«
»Vielleicht sollten wir ihn ans Bett fesseln.« »Nein.«
Erschrocken sahen wir Raven an. Jetzt erkannte er mich wieder. »Keine Fesseln, Croaker. Ich werde auch brav sein.« Lächelnd ließ er sich wieder auf den Rücken fallen. »Wie lange ist es her, Case?«
»Erzähl ihm die Geschichte«, sagte ich. »Ich pansche mal etwas Medizin zusammen.« Ich wollte nur von Raven weg. Mit seiner Seele an Bord sah er sogar noch schlimmer aus. Wie ein Leichnam. Er erinnerte mich zu sehr an meine eigene Sterblichkeit. Und das war etwas, das ich nicht auch noch stärker in meinem Verstand bewegen mußte,
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