Die Rückkehr des Drachen
schreiend gestorben ist. Wenn er noch einen Monat am Leben bleibt, töte ich wieder einen. Und dann wieder und wieder. Und wenn keiner von deinem Blut mehr lebt außer dir und er ist immer noch am Leben, dann bringe ich dich zum Shayol Ghul.« Er lächelte. »Es wird Jahre dauern, bis du gestorben bist, Mensch. Verstehen wir uns jetzt?«
Carridin gab einen erstickten Laut von sich - teils Stöhnen, teils Wimmern. Er glaubte, sein Hals müsse gleich brechen.
Mit einem Knurren schleuderte der Myrddraal ihn quer durch den Raum. Carridin krachte gegen die gegenüberliegende Wand und glitt betäubt auf den Läufer davor. Mit dem Gesicht nach unten versuchte er, Luft zu holen.
»Verstehen wir uns, Mensch?«
»Ich... ich höre und gehorche«, brachte Carridin mit zum Teppich gewandtem Gesicht heraus. Er hörte keine Antwort.
Er drehte sich um und stöhnte auf, weil sein Hals so schmerzte. Außer ihm selbst befand sich niemand im Zimmer. Die Legenden berichteten, daß die Halbmenschen auf Schatten wie andere auf Pferden ritten, und wenn sie sich zur Seite wandten, dann verschwanden sie. Keine Wand konnte sie zurückhalten. Carridin hätte am liebsten geweint. Er schob sich mühsam hoch und fluchte über den stechenden Schmerz in seinem Handgelenk.
Die Tür öffnete sich, und Scharbon eilte herein. Er war ein molliger Mann und trug einen Korb auf den Armen. Er blieb stehen und sah Carridin überrascht an. »Herr, geht es Euch gut? Vergebt mir, daß ich nicht eher gekommen bin, aber ich ging aus, um Obst zu kaufen... «
Mit seiner unverletzten Hand schlug Carridin Scharbon den Korb aus den Händen. Verschrumpelte Äpfel rollten über den Teppich. Dann schlug er dem Mann obendrein noch mit dem Handrücken ins Gesicht.
»Vergebt mir, Herr«, flüsterte Scharbon.
»Bring mir Papier und Tinte«, knurrte Carridin. »Beeil dich, du Narr! Ich muß Befehle verschicken.« Aber welche? Wessen Befehle? Während Scharbon hastig dem Befehl nachkam, starrte Carridin die Furchen auf der Tischplatte an und zitterte.
KAPITEL
1
Warten
D as Rad der Zeit dreht sich, und die Zeitalter kommen und gehen, hinterlassen Erinnerungen, die zu Legenden werden, diese wieder verblassen zu bloßen Mythen und sind längst vergessen, wenn das Zeitalter, das sie hervorbrachte, wiederkehrt. In einem Zeitalter, von einigen das Dritte genannt, einem Zeitalter, das noch kommen wird und das schon lange vergangen ist, erhob sich ein Wind in den Bergen des Verderbens. Der Wind stand nicht am Anfang. Es gibt weder Anfang noch Ende, wenn sich das Rad der Zeit dreht. Aber es war ein Beginn.
Der Wind fegte durch lange Täler, Täler, in denen der Morgendunst blau und feucht hing, einige mit Nadelbäumen bewaldet, andere noch kahl, doch bald würden Gras und erste Bergblumen sprießen. Er heulte über halb im Boden versunkene Ruinen und verwitterte Denkmäler, genauso von der Welt vergessen wie diejenigen, die sie einst erbauten. Er seufzte durch Pässe, verwitterte Einschnitte zwischen ewig mit Schnee bedeckten Gipfeln. Dichte Wolken hingen an den Gipfeln, so daß es schien, als seien Schnee und Wolken eins.
Im Tiefland war der Winter schon vorbei, aber hier auf den Höhen hielt er sich noch und sprenkelte große, weiße Flecken über die Abhänge. Nur die Nadelbäume oder die Lederblätter waren grün; die anderen alle zeigten kahle, braune oder graue Äste und hoben sich kaum von den Felsen oder den noch wintergelben Wiesen ab. Man hörte keinen Laut außer dem Rauschen des Windes über Schnee und Fels. Das Land schien zu warten. Es wartete darauf, daß irgend etwas ausbrach.
Perrin Aybara saß auf seinem Pferd am inneren Rand eines Dickichts aus Lederblattbäumen und Kiefern und zog, vor Kälte zitternd, seinen pelzbesetzten Umhang enger um sich zusammen. Das war schwierig, denn er hielt den Langbogen in einer Hand, und an seinem Gürtel hing seine große Axt mit ihrer halbmondförmigen Schneide. Es war eine gute Axt - aus kaltem Stahl gefertigt. Perrin hatte den Blasebalg bedient, als Meister Luhhan sie schmiedete. Der Wind zupfte an seinem Umhang und zerrte die Kapuze von den lockigen, zerzausten Haaren. Er drang sogar noch durch den Stoff seines Mantels. Er bewegte die Zehen in den Stiefeln, um sie etwas aufzuwärmen, und rutschte auf dem an beiden Seiten hochgezogenen Kampfsattel umher. Aber es war nicht die Kälte, an die er gerade dachte. Er musterte seine fünf Begleiter und fragte sich, ob auch sie es spürten. Es war nicht das Warten,
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