Die Rückkehr des Drachen
ihn Mühe, sich nicht die Finger abzulecken. »Kommst du nun mit oder nicht?«
»Ach, ich komme schon mit, Junge.« Thom stand mühsam auf, aber er schien trotzdem nicht so unsicher auf den Beinen wie vorher. »Warte hier und versuche, nicht auch noch den Tisch anzufressen, während ich meine Sachen hole und auf Wiedersehen sage.« Er hinkte fort, kam aber nicht ein einziges Mal mehr ins Stolpern.
Mat trank ein wenig Wein und säuberte die Hähnchenknochen von dem letzten übriggebliebenen Fleisch. Er fragte sich, ob er noch eines bestellen solle, aber Thom kam bereits zurück. Auf seinem Rücken hingen seine Harfe und Flöte in ihren dunklen Lederbehältern neben einer Deckenrolle. Er trug einen einfachen Wanderstock, der genauso lang war wie Thom selbst. Die beiden Serviererinnen kamen mit, jede an einer Seite. Mat war sicher, daß sie Schwestern waren. Die gleichen braunen Augen blickten mit dem gleichen Blick zu dem Gaukler auf. Thom küßte erst Saal und dann Mada. Er tätschelte ihre Wangen, während er bereits zur Tür unterwegs war und Mat mit einem Kopfrucken bedeutete, ihm zu folgen. Er war schon draußen, als Mat seine eigenen Sachen über der Schulter hatte und seinen Bauernspieß in die Hand nahm.
Die jüngere der beiden Frauen - Saal - hielt Mat an, als er die Tür erreichte. »Was Ihr ihm auch gesagt habt, ich werde Euch das mit dem Wein vergeben, obwohl Ihr ihn mit Euch fortnehmt. Ich habe ihn wochenlang nicht mehr so lebhaft erlebt.« Sie drückte ihm etwas in die Hand, und als er nachschaute, riß er die Augen verwirrt auf. Sie hatte ihm eine Silbermark mit der Prägemarke von Tar Valon gegeben. »Für das, was Ihr ihm gesagt habt. Außerdem, wer immer Euch mit Essen versorgt, kümmert sich nicht genug um Euch. Aber Ihr habt trotzdem hübsche Augen.« Sie lachte über seinen verblüfften Gesichtsausdruck.
Mat mußte unwillkürlich auch lachen, als er auf die Straße trat und mit der Silbermünze in der Hand spielte. So, hübsche Augen habe ich also? Sein Lachen verging wie der letzte Tropfen in einem Weinfaß: Thom war da, aber die Leiche nicht. Aus den Fenstern der Tavernen weiter unten an der Straße fiel genug Licht auf die Pflastersteine, um ganz sicherzugehen. Die Stadtwache würde keine Leiche wegtragen, ohne Fragen zu stellen. Sie hätten bestimmt die Gäste der Tavernen und auch der ›Frau aus Tanchico‹ befragt.
»Was guckst du so, Junge?« fragte Thom. »Es sind keine Trollocs hier in diesem Schatten verborgen.«
»Straßenräuber«, murmelte Mat. »Ich dachte an Straßenräuber.«
»In Tar Valon gibt es auch keine Straßenräuber oder Schläger, Junge. Wenn die Wache einen Räuber festnimmt - und es gibt nicht viele, die das hier überhaupt versuchen, denn Gerüchte verbreiten sich schnell -, dann schleift sie ihn zur Burg, und was die Aes Sedai auch mit ihm machen, jedenfalls verläßt er am nächsten Tag Tar Valon wieder mit den unschuldigen Augen einer Jungfrau. Wie ich hörte, behandeln sie eine Frau noch härter, wenn sie beim Klauen erwischt wird. Nein, die einzige Art, hier sein Geld loszuwerden, ist, wenn man poliertes Messing als Gold kauft oder wenn einer gezinkte Würfel verwendet. Straßenräuber gibt es hier nicht.«
Mat drehte sich auf der Stelle um und ging an Thom vorbei in Richtung Hafen los. Sein Bauernspieß knallte auf die Pflastersteine, als könne er sich damit noch abstoßen und schneller laufen. »Wir werden das erste Schiff nehmen, das den Hafen verläßt. Das erste, Thom!«
Thoms Stock klapperte ihm hastig hinterher. »Langsam, Junge. Was hast du es denn so eilig? Es gibt eine Menge Schiffe. Tag und Nacht fahren welche ab. Mach langsam. Es gibt keine Straßenräuber hier.«
»Das erste verfluchte Schiff, Thom! Und wenn es am Sinken ist, wir werden trotzdem drauf sein!« Wenn das keine Straßenräuber waren, was waren sie dann? Das müssen einfach Diebe gewesen sein. Was denn sonst?
KAPITEL
32
Das erste Schiff
D as Becken des Südhafens selbst, von den Ogiern angelegt, war riesengroß, rund und von einer hohen Mauer aus dem gleichen mit Silber durchsetzten Stein erbaut wie der Rest Tar Valons. Bis auf eine Lücke zog sich der lange, überdachte Kai ganz um das Hafenbecken herum. Die Lücke ergab sich durch das breite Wassertor, das jetzt offenstand, um den Schiffen die Durchfahrt zum Fluß zu gestatten. Schiffe aller Größen lagen am Kai vertäut, meist mit dem Achterschiff voraus. Trotz der frühen Stunde eilten Schauerleute in groben,
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