Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
Zügen durch das Land. Ich wanderte über schlammige Landstraßen und durch lärmende Basare, wo Hindufakire ihre Fähigkeiten demonstrierten und mich mit ihrer strengen Selbstdisziplin und Askese beeindruckten.
Von Kalkutta nach Madras und dann nach Bombay. Überall sah ich Menschenscharen, die hin und her liefen wie Ameisen und sich durch die Straßen drängten. Heiliges, überbevölkertes Indien, wo auf jedem Quadratkilometer, jedem Quadratmeter, jedem Quadratzentimeter unzählige Menschenseelen zusammengepfercht sind …
Mit unermüdlichem Eifer machte ich etliche Yogaschulen ausfindig, wo ich eine Menge Positionen, Atem- und Meditationstechniken lernte, so ähnlich wie die, die Socrates und Joseph mir beigebracht hatten.
In Kalkutta sah ich die Ärmsten der Armen, die in Schmutz und Elend dahinvegetierten. Wo ich auch hinschaute, sah ich Bettler – Männer, Frauen und verkrüppelte Kinder in zerlumpten Kleidern. Kaum hatte ich einem ein Geldstück gegeben, waren auch schon zehn andere da. Das bildete einen krassen Gegensatz zur prunkvollen Erhabenheit des Taj Mahal und anderer heiliger Stätten voll Schönheit und spirituellem Gleichgewicht.
Ich pilgerte zu den Ashrams, begegnete Weisen, die von der monistischen Weisheit des Advaita-Vedanta erfüllt waren und lehrten, daß Samsara und Nirvana, Fleisch und Geist in Wirklichkeit eins sind. Ich erfuhr von der Göttlichkeit und heiligen Dreiheit von Brahma, dem Schöpfer, Vishnu, dem Erhalter, und Shiva, dem Zerstörer.
Ich saß Gurus zu Füßen, die mich einfache Weisheiten lehrten und von denen eine große Liebe und Überzeugungskraft ausging. Ich erlebte die inbrünstige Religiosität heiliger Männer und Frauen. Ich wanderte sogar mit Sherpaführern in Tibet, Nepal und im Pamir-Gebiet, wo ich Einsiedlern und Asketen begegnete. Ich atmete die dünne Gebirgsluft, saß in den Höhlen und meditierte.
Und doch wurde ich von Tag zu Tag mutloser, denn nirgends fand ich einen Lehrer wie Socrates, und ich lernte nichts, was ich nicht auch in einer Buchhandlung an der amerikanischen Ostküste hätte entdecken können. Ich hatte das Gefühl, in die geheimnisvolle Welt des Ostens gereist zu sein, nur um festzustellen, daß die weisen Lehrer und Meister gerade nicht da waren. Wahrscheinlich hatten sie Urlaub und besuchten ihre Verwandten in Kalifornien!
Ich hatte die größte Hochachtung vor den spirituellen Traditionen Indiens. Ich bewunderte seine alte Kultur und seine geistigen Schätze. Doch wohin ich auch ging – überall hatte ich das Gefühl, nur ein Außenstehender zu sein. Nichts und niemand berührte mich wirklich. Aber daran war nicht Indien schuld, sondern ich! Nachdem mir das klargeworden war, zog ich entmutigt, aber entschlossen die Konsequenzen: Ich beschloß, nach Hause zurückzufahren. Ich wollte versuchen, mein Familienleben wieder in Ordnung zu bringen. Das war das einzig Richtige, das einzig Verantwortungsvolle.
Ich hatte vor, die östliche Route über Hawaii zu nehmen, dort ein paar Tage Pause zu machen und dann nach Ohio zurückzukehren – zu Holly und Linda. Sie fehlten mir alle beide. Irgendwie ließ sich die Sache vielleicht doch noch reparieren …
Vielleicht war es ein Wink mit dem Zaunpfahl, daß Indien mir nichts gegeben hatte, sagte ich mir. Vielleicht war meine Zeit bei Socrates schon die ganze spirituelle Unterweisung, die mir bestimmt war. Aber andererseits, wenn das stimmte, woher kam dann diese Unruhe in mir, die immer stärker wurde?
Mein Jet flog durch die Nacht; die Lichter an seinen Tragflächen funkelten wie winzig kleine Sterne, während wir über einer schlafenden Welt dahinglitten. Ich versuchte zu lesen, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich versuchte zu schlafen, aber unruhige Träume verfolgten mich. Immer wieder tauchte Socrates’ Gesicht vor mir auf, und ich hörte Fetzen von Gesprächen, die ich vor vielen Jahren mit ihm geführt hatte. Als wir auf Hawaii landeten, wurde dieses Gefühl, etwas Wichtiges verpassen zu können, allmählich immer unerträglicher, wie ein Feuer in meinem Bauch. Ich brannte innerlich. Mir war, als müßte ich laut schreien: Was soll ich denn bloß tun ?
Ich stieg aus dem Flugzeug und streckte im strahlenden Sonnenschein meine Glieder. Der feuchte hawaiianische Wind beruhigte ein wenig meine Nerven.
Legenden behaupten, daß von diesen Inseln seit alter Zeit eine starke heilende Energie ausgeht. Ich hoffte, daß davon unter dem falschen Glanz der Zivilisation noch
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