Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
meinem Inneren nachgeklungen hatte, war jetzt nur noch ein dumpfes Echo, eine blasse Erinnerung.
Gestreßt und aus den Fugen geraten, hatte ich kaum mehr Zeit und Energie für meine kleine Tochter. Ich hatte zugenommen, und das beeinträchtigte nicht nur meine Sportlichkeit, sondern auch meine Selbstachtung. Und was am allerschlimmsten war: Ich hatte den Faden verloren, den tieferen Sinn meiner Existenz.
Auch meine Beziehungen zu anderen Menschen sah ich plötzlich in einem sehr fragwürdigen Licht. Ich hatte mich stets als Mittelpunkt der Welt gesehen und nie gelernt, anderen Menschen Aufmerksamkeit zu schenken. Ich war es immer nur gewohnt gewesen, selbst im Rampenlicht zu stehen. Wahrscheinlich wollte ich jetzt meine Ziele und Prioritäten nicht für Linda und Holly oder irgendeinen anderen Menschen opfern, oder ich konnte es einfach nicht.
Allmählich ging mir auf, daß ich vielleicht egozentrischer als alle Menschen war, die ich je kennengelernt hatte. Das beunruhigte mich, und ich klammerte mich noch hartnäckiger an mein einstiges Selbstbild. Aufgrund meiner Unterweisung bei Socrates und all meiner früheren Leistungen sah ich mich immer noch als eine Art Ritter in glänzender Rüstung. Ich wollte nicht wahrhaben, daß die Rüstung inzwischen gerostet war.
Socrates hatte einmal zu mir gesagt: »Verkörpere stets das, was du lehrst, und lehre nur das, was du auch verkörperst.« Aber ich tat immer noch so, als sei ich der kluge, ja sogar weise Lehrer, und fühlte mich innerlich wie ein Scharlatan und Narr. Das wurde mir immer schmerzlicher bewußt.
Trotzdem konzentrierte ich mich ganz auf meine Arbeit als Trainer und Lehrer, die mir wenigstens noch so etwas wie Erfolgserlebnisse gab. Um die frustrierende Arena der zwischenmenschlichen Beziehungen, der ich mich am dringendsten hätte widmen müssen, machte ich einen großen Bogen.
Linda und ich entfernten uns innerlich immer mehr voneinander. Sie suchte sich Liebhaber, und ich suchte mir Freundinnen, bis das immer dünner werdende Band, das uns noch zusammenhielt, schließlich riß und wir beschlossen, uns zu trennen.
An einem kalten Tag im März zog ich aus. Der Schnee war gerade zu Schneematsch geworden. Ich verfrachtete meine wenigen Habseligkeiten in einen Lieferwagen, den ich mir von einem Freund geliehen hatte, und suchte mir ein Zimmer in der Stadt. Mein Verstand redete mir ein, das sei das beste für mich, aber mein Körper sprach eine ganz andere Sprache: Magenbeschwerden plagten mich, und ich bekam Muskelkrämpfe, die ich früher nie gekannt hatte. Selbst kleine Wunden – z. B. wenn ich mir die Haut an einer scharfen Papierkante oder einem vorstehenden Nagel aufriß – entzündeten sich.
In den nächsten Wochen funktionierte ich allein deshalb, weil ich noch den vergangenen Alltagstrott in mir hatte. Mechanisch ging ich meiner täglichen beruflichen Routine nach. Aber meine Identität, das Leben, das ich für mich geplant hatte – all das war in sich zusammengestürzt wie ein Kartenhaus. Ich fühlte mich elend und verloren und wußte nicht, wohin.
Doch eines Tages, als ich in meinem Postfach im Institut für Sport und Körpererziehung nachsah, ob etwas für mich gekommen war, rutschte mir ein Rundschreiben meiner Fakultät aus den Händen und fiel geöffnet auf den Boden. Während ich mich bückte, um es aufzuheben, überflog ich die Mitteilung: »Alle Mitglieder unserer Fakultät sind herzlich eingeladen, sich um ein Powers-Auslandsstipendium zu bewerben, das Ihnen die Möglichkeit bieten soll, auch in anderen Ländern und Kulturen Erfahrungen auf Ihrem Fachgebiet zu sammeln.«
Da durchfuhr mich plötzlich ein schicksalhaftes Gefühl: Ich wußte, daß ich mich um dieses Stipendium bewerben und daß ich es auch irgendwie bekommen würde. Es war ein Wissen, das ich mir nicht erklären konnte, ein Wissen, das aus dem Bauch heraus kam.
Zwei Wochen später fand ich den Antwortbrief in meinem Briefkasten, riß ihn auf und las: »Der Vorstand des Treuhänderausschusses
freut sich, Ihnen mitteilen zu können, daß Sie ein Powers-Auslandsstipendium in Höhe von zweitausend Dollar für Reisen und Forschungen auf Ihrem Studiengebiet erhalten. Die Reise muß im Sommer des Jahres 1973 stattfinden. Wenn Sie möchten, können Sie sie auch noch während Ihres kommenden sechsmonatigen Forschungsurlaubs fortsetzen …«
Ein Fenster hatte sich geöffnet. Es gab wieder eine Richtung, in die ich gehen konnte.
Aber wo sollte ich hinreisen? Die Antwort
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