Die Rückkehr des Sherlock Holmes
wage viel, indem ich Sie decke, Lady Hilda. Zum Ausgleich werden Sie die Zeit nutzen und mir frei heraus die wahre Bedeutung dieser ungewöhnlichen Affäre erzählen.«
»Mr. Holmes, ich werde Ihnen alles sagen«, rief die Lady. »Oh, Mr. Holmes, eher würde ich mir die rechte Hand abhacken als ihm auch nur eine Sekunde Sorgen bereiten! Nicht eine Frau in ganz London liebt ihren Mann so wie ich – und doch, wenn er wüßte, was ich getan habe – wie ich dazu gezwungen wurde – nie würde er mir verzeihen. Denn er schätzt seine eigene Ehre so hoch, daß er nie vergessen oder vergeben kann, wenn ein anderer einmal einen Fehltritt begeht. Helfen Sie mir, Mr. Holmes! Mein Glück, sein Glück, ja unser Leben steht auf dem Spiel!«
»Schnell, Madam, die Zeit wird knapp!«
»Es ging um einen Brief, Mr. Holmes, einen unbesonnenen Brief, den ich vor meiner Ehe geschrieben habe – ein törichter Brief, der Brief eines leidenschaftlich verliebten Mädchens. Ich habe es nicht böse gemeint, und doch hätte er es für verbrecherisch gehalten. Wenn er diesen Brief zu lesen bekommen hätte, wäre sein Vertrauen für immer zerstört gewesen. Es ist Jahre her, seit ich ihn geschrieben habe. Ich hatte geglaubt, die ganze Sache wäre längst vergessen. Schließlich erfuhr ich dann von diesem Lucas, daß er in seine Hände gelangt sei und daß er ihn meinem Mann zeigen würde. Ich flehte ihn um Gnade an. Er sagte, er würde mir den Brief zurückgeben, wenn ich ihm dafür ein gewisses Dokument, das er mir beschrieb, aus der Depeschenbox meines Mannes besorgen würde. Er hätte einen Spion im Amt, der ihm von dessen Existenz berichtet hätte. Er versicherte mir, daß meinem Mann nichts Schlimmes passieren würde. Versetzen Sie sich in meine Lage, Mr. Holmes! Was hätte ich denn tun sollen?«
»Ihren Mann ins Vertrauen ziehen.«
»Das konnte ich nicht, Mr. Holmes, das konnte ich nicht! Auf der einen Seite drohte das sichere Verderben; auf der anderen, so schrecklich es mir auch vorkam, meinem Mann die Papiere zu stehlen – und doch konnte ich bei so einer politischen Angelegenheit die Konsequenzen nicht erfassen, während sie mir in einer Angelegenheit der Liebe und des Vertrauens nur allzu klar waren. Ich hab’s getan, Mr. Holmes! Ich habe einen Abdruck von dem Schlüssel gemacht, und dieser Lucas hat mir den Zweitschlüssel besorgt. Ich habe seine Depeschenbox aufgemacht, das Papier herausgenommen und es zur Godolphin Street gebracht.«
»Was geschah dort, Madam?«
»Ich klopfte wie vereinbart an die Tür. Lucas machte auf. Ich folgte ihm in sein Zimmer, ließ aber die Eingangstür angelehnt hinter mir, da ich Angst hatte, mit dem Mann allein zu sein. Mir fiel ein, daß draußen eine Frau gestanden hatte, als ich hineinging. Unser Geschäft war bald erledigt. Mein Brief lag auf seinem Schreibtisch; ich übergab ihm das Dokument. Er gab mir den Brief. In diesem Augenblick kam ein Geräusch von der Tür. Über den Flur kamen Schritte. Lucas zog schnell den Läufer weg, steckte das Dokument in ein Versteck darunter und deckte es wieder zu.
Was danach geschah, war wie in einem furchtbaren Traum. Ich sehe ein dunkles, wütendes Gesicht vor mir, höre eine Frau auf französisch schreien: ›Ich habe nicht umsonst gewartet. Endlich, endlich habe ich dich mit ihr erwischt!‹ Es gab einen wüsten Kampf. Ich sah ihn mit einem Stuhl in der Hand, in ihrer blitzte ein Messer auf. Ich rannte vor dieser entsetzlichen Szene aus dem Haus und erfuhr erst am nächsten Morgen aus der Zeitung den schrecklichen Ausgang. In dieser Nacht war ich glücklich, denn ich hatte meinen Brief wieder und hatte noch nicht gesehen, was die Zukunft bringen würde.
Am nächsten Morgen wurde mir dann klar, daß ich nur das eine Unglück gegen ein anderes eingehandelt hatte. Der Schmerz meines Mannes über den Verlust des Papiers ging mir zu Herzen. Ich konnte mich kaum zurückhalten, mich ihm auf der Stelle zu Füßen zu werfen und ihm zu beichten, was ich getan hatte. Das aber hätte die Preisgabe meiner Vergangenheit bedeutet. Ich habe Sie an diesem Morgen aufgesucht um die ganze Tragweite meines Vergehens zu begreifen. Von dem Moment an, da ich mir darüber im klaren war, habe ich nur noch daran gedacht, wie ich dieses Papier meines Mannes zurückbekommen könnte. Es mußte noch dort sein, wo Lucas es hingesteckt hatte, denn es war schon wieder zugedeckt, als diese furchtbare Frau ins Zimmer kam. Wenn die nicht gekommen wäre, hätte ich das Versteck
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