Die Runen der Erde - Covenant 07
eine weitschweifige Anekdote nach der anderen, die ohne bestimmte Ordnung daherkamen –, machten die Wegwahrer sich um sie herum in der Höhle zu schaffen. Anfangs fragte Linden sich, was sie da machten; dann erkannte sie, dass sie eine Mahlzeit zubereiteten. Anscheinend lebten sie nicht allein von Vitrim – oder wollten ihren Gästen das nicht zumuten.
Aus einem Nebengang schafften sie einen großen Steintopf herbei, der fast schon ein Kessel war. Eines der Feuergefäße wurde in die Höhlenmitte gestellt; und nachdem sie die in ihm lodernde Glut mit Beschwörungsformeln und Gesten heller angefacht hatten, hoben sie den Kessel darauf. Dann fingen sie an, alle möglichen Zutaten, die Linden nicht identifizieren konnte, in den Topf zu werfen. Während die Geschöpfe arbeiteten, sprach Linden weiter, und ihre anfangs ziellose Erzählung begann allmählich, einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Statt Fragen zu beantworten, die Liand nicht zu stellen wusste, schürfte sie in ihren Erinnerungen; Wörter waren die Pickel und Schaufeln, mit denen sie nach Mut und Einsicht grub. Und die Namen ihrer verlorenen Freunde glichen einer Beschwörung. Durch ihren Zauber erschuf sie sich einen Platz im Land, eine Rolle – und stellte sich vor, sie sei imstande, sie auszufüllen.
»Ich dachte, das Sonnenübel und die Wüteriche seien die schlimmsten aller möglichen Erscheinungen. Ich habe lange geglaubt, ich würde nie etwas Schlimmeres zu sehen bekommen als das Blutvergießen, dessen Opfer die Haruchai waren.« Mithilfe der Sonnengefolgschaft hatte Lord Foul versucht, Staves Vorfahren auszurotten, deren Opferblut das Sonnenfeuer genährt hatte. »Aber als Caer-Caveral erschlagen worden war und das Sonnenübel erstmals in Andelain einbrach ...« Ruhig fuhr sie fort: »Das alles war Lord Fouls Schuld. Er wird nicht umsonst ›Verächter‹ und ›Vernichter‹ genannt. Er verkörpert Hass und Verzweiflung. Trampelt irgendwo ein Geschöpf oder eine Macht auf Leben herum, steht er im Hintergrund. Lachend ...« Und nur die Agonie einer ganzen Welt würde seinen eigenen unsäglichen Schmerz lindern können. »Es gibt bestimmt Augenblicke, in denen ich mich benehme, als hätte ich den Verstand verloren. Wahrscheinlich verwirre ich dich immer wieder aufs Neue. Aber du weißt längst, was mich bewegt. Tue ich irgendwas, das dir verrückt erscheint, musst du daran denken, dass Lord Foul meinen Sohn in seiner Gewalt hat.«
Als sie jetzt verstummte, merkte sie, dass alle in der Höhle Anwesenden ihr gespannt zuhörten. Die Wegwahrer hatten ihre Vorbereitungen unterbrochen, um ihr wie einem Orakel zu lauschen. Mahrtiirs Aufmerksamkeit war scharf wie die eines Falken. Sogar aus Staves Haltung schien unerwarteter Respekt zu sprechen.
Liand hatte ihr mit Erstaunen im Blick zugehört. Als sie ihn ansah, holte er jedoch unsicher tief Luft und schüttelte den Bann ab, unter dem er gestanden hatte.
»Jetzt verstehe ich, warum Anele sorgenvoll wirkt, wenn er von ›Staunen‹ spricht. Ich weiß nicht, wie ich schildern soll, welche Bedeutung du für mich bekommen hast. Ich habe das Gefühl, in diesen vergangenen Tagen die Erfahrung von Jahren gewonnen zu haben, und vieles, was mir früher gewöhnlich erschienen ist, hat neue Bedeutung angenommen. Ich halte dich keineswegs für ›verrückt‹. Ich weiß nur nicht, wie ich mich dir gegenüber ausdrücken soll. Schilderst du, was du getan und wen du gekannt hast, scheinst du einem altehrwürdigen, großartigen Reich anzugehören. An deiner Seite komme ich mir unbedeutend vor, aber das entspricht nicht dem, was mein Herz mir sagt, denn nicht ich bin erniedrigt, sondern du bist erhöht worden.«
Er sah sich in der Höhle um, als erwarte er eine Bestätigung, aber nur Mahrtiir nickte zustimmend. Stave und die Wegwahrer beobachteten Linden lediglich und hörten so aufmerksam zu, als würden hier Weltenschicksale entschieden. Anele aber lag fest schlafend auf seinem Felssims.
Linden wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Wie sollte er verstehen, dass sie ängstlich und verwirrt, dass sie auf seine unkomplizierte Unterstützung angewiesen war, wenn er glaubte, sie gehöre einem »altehrwürdigen, großartigen Reich« an?
Nach kurzer Überlegung antwortete sie: »Nein, so ist es nicht. Ich bin gewöhnlicher, als du glaubst.« Covenant entsprach Liands Charakterisierung. Sie eher nicht. »Ich kann es mir nur nicht leisten, mich davon behindern zu lassen.«
Indem sie den Blick des jungen Mannes
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