Die Runen der Erde - Covenant 07
noch erschöpft, bedurfte dringend der Ruhe; sie fühlte sich gänzlich unvorbereitet. Trotzdem war dies der Augenblick, auf den sie gewartet hatte. Jetzt würde sich erweisen, wodurch Esmer Verrat geübt hatte, und sie würde wissen, was sie tun musste, um ihre Gefährten und die Wegwahrer zu retten.
Der Stab war ein machtvolles Werkzeug, aber er konnte ihr nicht helfen, in ihre angestammte Zeit zurückzukehren. Vielleicht bot sich ihr nun die Möglichkeit, die Pforte zu der wilden Magie in ihrem Inneren wiederzufinden.
»Linden?«, fragte Liand. »Gibt deine Kenntnis des Landes dir einen Namen für diese Veränderung ein?« Er sah kurz zu Stave hinüber. »Ist sie ein weiteres dunkles Wunder, das die Meister vor uns verborgen haben?«
»Das weiß ich nicht.« Linden richtete sich ruckartig auf. Sie hatte Bedürfnisse, die über bloßes Ruhebedürfnis hinausgingen. Vorläufig begannen sie mit den Wegwahrern, obwohl sie sich ihrem Verständnis weitestgehend entzogen. »Stave wird uns mitteilen, so viel er kann. Wenn die Zeit dafür gekommen ist.«
Wie willst du die Last dieser zweifachen Macht tragen? Jede für sich allein übersteigt deine Kräfte. Gemeinsam werden sie dich zum Wahnsinn treiben ...
Anscheinend hatte Esmer ihr von Anfang an ›helfen‹ wollen, seinen Verrat zu überwinden, indem er die Barriere beseitigte, die seine Gegenwart für ihren Gebrauch von Covenants Ring bildete.
»Mahrtiir hat recht«, fügte sie hinzu. »Wir müssen aufbrechen.«
Sie wandte sich sofort den Wegwahrern zu, denn diese – das spürte Linden – wussten, was sie bedrohte. Wie die Urbösen verstanden die Wegwahrer Esmers Absichten besser als sie. Trotzdem hatten sie keine sichtbaren Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr ergriffen; und Linden vermutete, dass sie es auch in Zukunft nicht tun würden, wenn sie nicht den Anstoß dazu gab. Indem sie ihr den Stab übergeben hatten, hatten sie die Verantwortung für ihre weitere Existenz in gewisser Weise in ihre Hände gelegt.
»Ich wollte, ihr könntet mir sagen, was uns bevorsteht«, sagte sie ernst. »Ich kann mir nicht einmal vorstellen, in wie schwere Gefahr ich euch gebracht habe, als ich Cails Sohn zu euch führte. Aber das ändert nichts an meiner Dankespflicht euch gegenüber. Ich weiß nicht, was ohne euch aus dem Stab geworden wäre – oder was mit dem Land geschehen wäre –, aber ich glaube, wir wären alle verloren gewesen. Eines weiß ich sicher: Ihr habt recht gehandelt. Ihr seid eurem Wyrd treu geblieben.«
Indem sie dankend den Stab hob, verbeugte Linden sich so würdevoll wie möglich. Bevor ihre Entschlossenheit nachließ, wandte sie sich Stave zu. »Wir haben lange genug gewartet. Komm, wir wollen feststellen, wie schlimm diese Gefahr ist.«
Der Haruchai verbeugte sich ebenfalls vor den Wegwahrern, wie es auch Mahrtiir und Liand taten. Dann zog der Steinhausener Anele hoch, Mahrtiir beeilte sich, die Führung zu übernehmen, und Stave geleitete Linden durch die Höhle zum Ausgang. Als Linden und ihre Gefährten hinausgingen, bildeten die Wegwahrer einen Keil und folgten ihnen langsamer, wobei sie leise zirpten, als wollten sie sich gegenseitig Mut machen oder voneinander Abschied nehmen.
Schon bald blockierte die Biegung des Ganges außerhalb der Kaverne alles Licht, und als der letzte Widerschein der Glut in den Steingefäßen hinter ihr zurückgeblieben war, konnte Linden vor sich nichts mehr erkennen. Hinter ihr schlurften die nackten Füße der Wegwahrer leise über den felsigen Boden. Dieses Geräusch schien sie zu verfolgen: zischend und ängstlich, wie das Hallen eines sanften Flehens in ihren Ohren.
Allzu viele von ihnen werden sterben ...
Beklommenheit machte ihren Schritt unsicher; aber Stave führte sie, indem er sie leicht am Ellbogen fasste und so dafür sorgte, dass sie nicht stolperte. Auch die warme Gewissheit, die der Stab ausstrahlte, hielt sie aufrecht. Und schon bald wich die Dunkelheit auf beiden Seiten zurück, als der Höhlengang sich zur Schlucht hin öffnete, über der sich ein wolkenloser Nachthimmel mit Myriaden von Sternen wölbte. Sand gab unter ihren Stiefeln nach, als Linden dem ausgetrockneten Flussbett auf dem Boden der Schlucht folgte, um ins Freie und auf die Hügel zu gelangen.
Dort erwartete sie der Mähnenhüter mit Pahni. Als Linden und Stave ihn erreichten, berichtete der Mähnenhüter in beherrschtem Flüsterton: »Seilträger Bhapa ist noch nicht zurück. Die Ranyhyn sind auf dem Hügel oberhalb von uns.
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