Die Runen der Erde - Covenant 07
zerrieben. Deshalb frage ich: Was beabsichtigst du?«
Linden war so erschöpft, dass sie beide Männer nur verschwommen wahrnahm. Stave misstraute ihr weiterhin, das wusste sie sicher. Trotzdem hatte sie Vertrauen zu ihm. Esmer dagegen ...
Sie wandte sich bewusst Mahrtiir und Liand zu.
»Wofür ich mich entscheide, hängt von dir ab«, erklärte sie dem Mähnenhüter ruhig. »Zumindest in gewissem Umfang. Was Liand sagen wird, weiß ich bereits. Und Anele muss in der Nähe des Stabs bleiben. Aber dich habe ich noch nicht gefragt. Willst du zu deinem Volk zurückkehren? Ich denke, das wird möglich sein.« Sobald sie eine Zäsur geschaffen hatte, würden die Ranyhyn den Weg zurück finden. »In diesem Fall kann ich jedoch nicht bei euch bleiben. Ich habe zu viele ...«
»Ring-Than«, unterbrach Mahrtiir sie, »das brauchst du nicht näher zu erläutern.« In seinen Augen glitzerte der Widerschein der Glut in den Steingefäßen. »Ich begleite dich, wohin deine Aufgaben dich führen. Ich will Taten vollbringen, die in der Erinnerung der Ramen weiterleben werden, wenn ich nicht mehr bin. Solchen Ruhm kann ich mir unter ihnen nicht erwerben. Sie sind ...« Er verzog verächtlich den Mund. »... zu vorsichtig, um Erinnernswertes zu vollbringen.«
Dann zuckte er mit den Schultern. »Den Seilträgern kann und werde ich nicht befehlen, es mir gleichzutun. Aber ich glaube, dass sie dir gegenüber eine Dankesschuld empfinden, die sie abtragen wollen.« Er grinste über einen Gedanken, den er für sich behielt. »Und du hast sie sehr für dich eingenommen. Sie werden nicht von dir scheiden wollen.«
»Also gut.« Linden versuchte nicht erst, mit ihm zu diskutieren, obwohl Mahrtiir und die Seilträger in ihrer Gesellschaft sehr leicht umkommen konnten. Sie brauchte dringend noch etwas Erholung, und im Grunde stand ihr Entschluss längst fest. Indem sie wieder zu Esmer und Stave aufsah, wiederholte sie: »Also gut. Ich ziehe nach Andelain. Ich weiß, dass ich zu viel Macht besitze. Trotzdem weiß ich nicht, wo ich meinen Sohn suchen soll.« Vor langer Zeit hatten die Geister von Covenants Freunden ihn dort angeleitet und getröstet. Vielleicht würde auch sie dort ihre geliebten Toten finden. »Ich hoffe, dort jemanden zu finden, der mir sagen kann, was ich tun soll.«
Esmer stieß einen verdrießlich klingenden Zischlaut aus und wandte sich ab; aber Stave betrachtete sie weiter mit gewohnt stoischer Ruhe. Was Lindens Antwort ihm bedeutete, blieb ihr zunächst verborgen. Erst als ihr Schweigen erkennen ließ, dass sie nichts hinzuzufügen hatte, ergriff Stave das Wort. »Also gut«, wiederholte auch er. »Du willst dich nach Andelain begeben. Vielleicht tust du es wirklich. Aber du hast noch nicht gesagt, welche unmittelbaren Absichten du hegst. Was hast du jetzt vor? Wie ich schon gesagt habe, dürfen wir nicht in dieser Zeit verharren. Und während wir zögern, wird die Gefahr mit jedem Augenblick größer. Esmer hat einen Verrat angedroht, dessen Auswirkungen wir lieber nicht abwarten sollten. Und das Risiko, dass unser Tun gegen das Gesetz der Zeit verstößt, wird ständig größer. Es ist töricht, noch länger zu rasten, wenn wir diesen Ort immer dringender verlassen müssen.«
Linden ächzte innerlich. Sie hatte gehofft, beschwerliche Fragen noch eine Zeit lang hinausschieben zu können, bis die wohltuende Wärme des Stabes sie neue Kräfte hatte sammeln lassen. Trotzdem hatten Stave und die anderen eine Antwort verdient.
Auf der Suche nach einer Möglichkeit, jetzt auszudrücken, was sie empfand, wandte sie sich dem Steinhausener wie einem Prüfstein ihrer Aufrichtigkeit zu. »Liand?«
Er ließ von Anele ab und sah zu ihr hinüber. »Ja?«
»Wie war es für dich? In der Zäsur? Was ist dir zugestoßen?«
Liands Augen weiteten sich, dann trübte sich sein Blick, als setzten ihm unangenehme Erinnerungen zu. »Linden ...« Er senkte den Kopf, als wolle er sein Unbehagen vor ihr verbergen. Aber das gelang ihm nicht. »Es ist schwierig, darüber zu sprechen. Die Schmerzen ... Ich hätte nie geglaubt, dass es möglich sein würde, solche Schmerzen zu erleben. Und sie zu ertragen ...« Seine Stimme sank zu einem kaum mehr hörbaren Flüstern herab. »Das hätte ich nicht vermocht, hätten die Urbösen mich schutzlos zurückgelassen. Aber ich habe ihre Schwärze wie einen Schutzmantel, der mich im Inneren des Sturzes vor dem Schlimmsten bewahrt hat, um mich gespürt.«
Er hob erneut den Kopf. »Ihre Lehre enthält
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