Die Runen der Erde - Covenant 07
Fehler war nicht gewesen, dass er den Tänzerinnen der See erlegen war, sondern dass er nach seiner Verführung weitergelebt hatte. Linden bezweifelte nicht, dass die Meister eher bis zum letzten Mann fallen würden, als ihren erwählten Dienst aufzugeben.
Aber Linden war nicht bereit, einfach nur zu streben und zu versagen und zu sterben. Nicht, solange Jeremiah sie brauchte. Nicht, solange das Land in solcher Gefahr schwebte.
Und sie wusste, dass Handir ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Er hatte nicht von der Angst seiner Blutsverwandten gesprochen, sie könnten von jener Leidenschaft erfasst werden, die nicht nur Cail, sondern auch Korik, Sill und Doar erfasst hatte. Liand hatte die Meister richtig eingeschätzt: Sie fürchteten sich davor zu trauern.
Sie hielt den Stab fester, während sie Handir stirnrunzelnd anstarrte. »Ah, ich verstehe«, sagte sie langsam. »Ihr seid sterblich. Ihr könnt es euch nicht leisten, euer Verhalten nach Normen zu beurteilen, die über eure Beschränkungen hinausgehen. Das war Koriks Fehler. Vielleicht sogar Kevins.«
Nun ließ ihre bisherige Distanziertheit sie im Stich. In ihrer Stimme begann Zorn zu pulsieren, als sie weitersprach.
»Aber das erklärt nicht, weshalb ihr nicht helfen wollt. Es erklärt auch eure sogenannte Meisterschaft über das Land nicht.
Gut, man kann sein Bestes geben und dann akzeptieren, was geschieht. Das tut ihr. Das habt ihr schon immer getan. Aber diesmal geht ihr darüber hinaus. Dieses Mal glaubt ihr, berechtigt zu sein, andere Leute daran zu hindern, das Gleiche zu tun. Habe ich recht? Soviel ich erkennen kann, seid ihr nicht Meister geworden, weil ihr das Land retten wollt. Ihr seid es geworden, um jeden anderen daran zu hindern, es zu retten.
Täusche ich mich?«, fragte sie scharf. »Dann widersprich mir. Kläre mich auf.«
Handir, die Stimme der Meister, blieb entspannt und anscheinend ungerührt, aber seine Nasenlöcher weiteten sich bei jedem Atemzug etwas, und außen am rechten Kiefergelenk zuckte ein kleiner Muskel. Linden glaubte Entrüstung in seiner Stimme zu hören, als er antwortete: »Das ist ungerecht. Wir verhindern nichts außer der Anwendung von Macht.«
»Nein, das stimmt nicht«, widersprach sie. »Darüber seid ihr weit hinausgegangen. Stave hat mir vorgeworfen, dass ich ihn geheilt habe, ohne seine Erlaubnis einzuholen. Ihr habt jedermann daran gehindert, sich dafür zu entscheiden, Macht auszuüben. Tatsächlich habt ihr im Voraus entschieden, dass es im ganzen Land niemals jemanden gegeben hat oder geben wird, der klug genug ist, um Erdkraft weise anzuwenden. Seit ihr euch zu Meistern aufgeschwungen habt, habt ihr jeden Menschen und jede Entscheidung und jede Tat im Voraus verurteilt. Und das ist einfach unsinnig.
Ich will euch ein Beispiel dafür geben«, sagte sie und sprach hastig weiter, damit niemand sie unterbrechen konnte. »Ihr wisst, was geschehen wird, wenn die Dämondim zurückkehren. Ihr werdet mit vollem Einsatz gegen sie kämpfen, und sie werden euch abschlachten. Aber ihr wisst nicht, was geschehen würde, wenn ihr mir vertrauen und euch von mir helfen lassen würdet. Oder wenn ihr mir helfen würdet, meinen Sohn Jeremiah zu finden.«
Dann schüttelte Linden den Kopf. »Aber das ist kein sehr gutes Beispiel. Ich bin nicht unwissend. Und bisher habt ihr nichts getan, um mich zu behindern. Hier ist ein besseres: Ihr könnt unmöglich wissen, was geschehen wäre, wenn Liand die Ausbildung und die Ressourcen erhalten hätte, um ein Steinmeister zu sein.« Sie sah nicht zu dem Steinhausener hinüber, obwohl sie seine Überraschung spürte. »Sunder war einer. Das wisst ihr. Und ihr wisst auch, dass Covenant nicht lange genug überlebt hätte, um die Haruchai aus der Gewalt der Sonnengefolgschaft zu befreien, wenn Sunder ihm nicht geholfen hätte. Wie könnt ihr also glauben, Liand habe nicht das Recht, ebenso viel zu wissen wie damals Sunder?«
Sie verstummte abrupt, keuchte fast unter der Gewalt ihrer Behauptung.
Handir zog eine Augenbraue hoch; er machte jedoch keine Pause, um sich mit den anderen Meistern zu beraten. »Linden Avery«, antwortete er nüchtern, »wir handeln, wie wir es tun, weil die Alternative offenkundig unmöglich ist. Wir können bei Entscheidungen und Taten nicht erst intervenieren, wenn ihre Auswirkungen bekannt sind. Die Gelegenheit, sie zu verhindern, ist dann vorbei. Und wir sind zu wenige. Sämtliche Haruchai, die jemals gelebt haben, würden nicht ausreichen, um
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