Die Runenmeisterin
verbotenen Liebe gepackt, so wie in diesen schön-schaurigen Liedern, die die Dichter sangen. Da hatten sie ihre Liebe begraben, und er hatte sich bislang vergebens um einen neuen Dienstherrn bemüht.
Nun verbrachte sie ihre Tage mit Lesen und Studieren. Sie sprach drei Sprachen, sang wie ein Engel und übersetzte Aristoteles, wenn ihr danach war. Sie liebte ihren Vater und ehrte ihre Stiefmutter. Sie haßte dieses Land hier im Norden des Reiches, aber sie hatte es ertragen, weil sie wußte, daß es noch schlimmer kommen könnte. Eine Heirat zum Beispiel mit einem Mann, den sie nicht kannte und den sie nie kennenlernen wollte.
»Politik, meine Taube«, sagte der Vater und seufzte. Er hatte es durch seine Heirat weit gebracht. Sein Verhältnis zum Kaiser war immer gut gewesen, denn Raupach galt als zuverlässig und loyal. Doch gerade das konnte ihm jetzt zum Verhängnis werden.
Sein oberster Landesherr war der Herzog von Braunschweig, Heinrich der Löwe, des Kaisers Vetter, und der hatte sich mit seinem Cousin Barbarossa überworfen. Auf dem Reichstag zu Worms war die Reichsacht über den Löwen verhängt worden wegen fortgesetzten Landfriedensbruches. Das hatte den Herzog jedoch nicht daran gehindert, den Kaiser weiterhin zu provozieren und seine Politik der verbrannten Erde zu betreiben. Der Kaiser, der wohl nicht recht wußte, was er mit diesem wildgewordenen Vetter anfangen sollte, hatte ihn immer wieder vorgeladen auf verschiedenen Reichstagen, doch Heinrich der Löwe war nie erschienen.
So wie die Dinge lagen, saß Raupach in einer tückischen Falle. Er hatte dem Löwen nie Grund gegeben, ihm zu mißtrauen, doch Heinrich hatte auf seine Vasallen stets ein wachsames Auge und besonders auf die, die dem Kaiser ergeben waren. Und Raupach war ein Franke, ein Kaisertreuer und kein Sachse.
Niemand im Reich wußte, welche Wendung die Dinge nehmen würden, doch jedem, der den Herzog von Braunschweig kannte, war klar, daß es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Vettern kommen würde. Heinrich würde den Bannfluch nicht einfach hinnehmen. Er würde sich wehren, politisch, und, was mehr seiner Natur entsprach, auch militärisch.
Das war die Crux, der Raupach sich gegenübersah, denn Heinrich würde sich Stützpunkte suchen, sollte der Bannfluch nicht aufgehoben werden, Burgen, Städte, Festungen. Und wenn sie sich wehrten und ihn nicht einließen, würde er sie belagern, entsetzen, schleifen lassen. Raupachs Sorgen waren nie größer gewesen. In dieser Situation den Kaiser zu verärgern, der seine einzige Hoffnung war, wäre einem politischen Selbstmord gleichgekommen.
Maria hatte keine Wahl. Sie mußte Maesfeld nehmen. Schon allein deshalb, weil er Soldaten mitbringen würde. Soldaten, die er, Raupach, brauchte, falls Heinrich wirklich eines Tages vor seinen Toren auftauchen sollte. Als hätte er nicht schon Probleme mit den Sachsen genug, dachte er bekümmert und blickte seine schöne Tochter an, die den Blick trotzig erwiderte.
Die Sachsen in dieser einsamen und von Gott verlassenen Gegend hier waren in sich gekehrte Leute. Samt und sonders getauft, besuchten sie die Messe, liefen aber auf dem gleichen Wege weiter zu den alten Steinen und den heiligen Hainen, wo die Götter ihrer Vorfahren hausten. So zumindest hatte man es Raupach zugetragen.
»Unsere Sachsen sind gläubige Christen«, hatte der Kaiser gesagt, »wenn hin und wieder ein schwarzes Schaf in der Herde ist, dann soll uns das soviel kratzen wie der Floh einen Ochsen.«
Raupach konnte nicht einmal sagen, daß er es besser wußte, denn er ahnte es tatsächlich nur. Es waren nie mehr als Gerüchte, die er hier und da aufschnappte. Von seinem Gesinde, die allesamt Sachsen waren, von den Bauern, den Lehensleuten. Gerüchte über Leute, die sich an einsamen Plätzen trafen, wo sich die heidnischen Kräfte der Erde bündelten.
Was taten sie da? Die Kirchenmänner sprachen von Hexengesindel, das in blutigen Ritualen Kinder opferte. Raupach tat, als höre er nichts, denn Gerüchte sind ein schlechter Ratgeber, und doch trieb es ihn um. Was, wenn es der Wahrheit entsprach? Was er wirklich wußte, war, daß die Sachsen ungebetene Gäste in die Sümpfe und Moore lockten, wo sie elendiglich versanken und nie mehr zurückkamen.
»Wer ist der Mann?«
Raupach schreckte aus seinen Gedanken hoch.
»Der Mann, den ich heiraten soll?«
»Berthold von Maesfeld. Sein Bruder ist Markgraf irgendwo in Schwaben.«
»Also kein Sachse?«
»Nein. Sein Bruder ist
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