Unsanft entschlafen
1
Plötzlich war es Frühling
geworden. Der Central Park prangte in frischem Grün, die Vormittagssonne wärmte
angenehm. Ich ließ mich im Fußgängerstrom die Fifth Avenue entlangtreiben und musterte die eleganten nylonbestrumpften Schönen, die
ihre Pudel spazierenführten . Allerdings war mein
Interesse begrenzt, denn diese Damen gehörten samt und sonders zum ganz großen
Geld.
Nach einigen hundert Metern bog
ich in die 53rd Street ein und befand mich nach wenigen Schritten in der völlig
anderen Welt der Madison Avenue. Die wachen Gesichter und die straffe,
gespannte Körperhaltung der Mädchen hier verrieten ihre Entschlossenheit, wenn
es ihnen schon nicht gelingen würde, einen reichen Mann zu angeln, wenigstens
Karriere zu machen. Es war wie ein Wechsel von Harpers Bazaar zu Playboy.
Die Hurlingford-Verlagsgesellschafl erstreckte sich über sechs Etagen eines großen Gebäudes, das nicht sonderlich
eindrucksvoll wirkte, bis man in das Empfangsbüro im zehnten Stock gelangte.
Sämtliche Einrichtungsgegenstände gehörten zum Teuersten, das unsere moderne
Innenarchitektur zu bieten hat, sogar die arrogante blonde Empfangsdame paßte
genau in den Rahmen. Während ich mir bedauernd eingestand, zumindest im
Augenblick für diese Preislage nicht gut bei Kasse zu sein, behandelte sie mich
zunächst als Luft.
Schließlich geruhte sie, meine
Anwesenheit durch ein leichtes Heben einer Augenbraue zur Kenntnis zu nehmen.
Ich wandte ihr mein linkes Profil zu, das noch etwas vorteilhafter als das
rechte ist, aber nicht einmal dieser Anblick männlicher Perfektion konnte ihren
eisigen Blick erwärmen.
»Mein Name ist Boyd, Danny
Boyd«, sagte ich. »Ich bin mit Mr. Hurlingford verabredet.«
Die Augenbrauen hoben sich um
noch eine Nuance. »Sie vertreten welche Firma?« fragte sie.
»Boyd Enterprises«, klärte ich
sie auf. »In Vertrauensfragen wenden Sie sich ungeniert an mich.«
Sie wies mit dem Kopf auf den
nächststehenden weißen Ledersessel. »Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Boyd. Miss
Soong wird gleich hier sein.«
»Sie scheinen akustische
Schwierigkeiten zu haben«, sagte ich. »Falls Sie das nicht überfordert, so
erinnern Sie sich vielleicht daran, daß ich Mr. Hurlingford und nicht Miss
Soong sprechen wollte.«
»Miss Soong ist Mr.
Hurlingfords Privatsekretärin«, erläuterte sie in einem Tonfall, als habe sie
einen Hilfsschüler vor sich. »Nehmen Sie schon Platz, Mr. Boyd.«
Ich ließ mich in den Sessel
sinken; sein weißer Lederbezug knarrte so jämmerlich, als sei er nicht an
Privatdetektive gewöhnt. Nach fünf Minuten vergeblichen Wartens war meine
sonnige Frühlingsstimmung endgültig verflogen. Ich schloß die Augen und begann
die Beine Cancan tanzender Revuegirls zu zählen — von den üblichen Schafen bin
ich seit meinem ersten Revue-Besuch abgekommen.
»Mr. Boyd«, sagte eine sanfte,
melodische Stimme, »Mr. Hurlingford möchte Sie jetzt sprechen.«
Ich öffnete schnell die Augen
und sah sie leibhaftig vor mir stehen. Eine Chinesin mit dunklem Haar, breiten
Backenknochen und saphirblauen Augen. Ihr enganliegendes elfenbeinfarbenes Kleid
unterstrich jede Linie ihres zierlichen Körpers. Meine nukleare Reaktion war so
deutlich von meinem Gesicht abzulesen, daß Miss Soong ein geschmeicheltes
Lächeln nicht ganz unterdrücken konnte.
»Ich bin Marie Soong, Mr.
Hurlingfords Privatsekretärin«, sagte sie in einer musikalischen Kadenz. »Wie
ich zu meinem Nachnamen gekommen bin, ist nicht schwer zu erraten — Marie
stammt von meiner französischen Mutter.« Sie lächelte ein wenig. »Früher oder
später fragt mich jeder danach.«
»Ich bin Danny Boyd«, stellte
ich mich vor und wandte ihr nacheinander beide Seiten meines Profils zu. Sie
hatte es verdient. Dann ließ ich meine Blicke anerkennend über ihre Figur
gleiten. »Ich wußte gar nicht, daß die Verlagstätigkeit so erfreuliche Aspekte
bietet«, konstatierte ich. »Vielleicht sollte ich doch mal ein Buch lesen.«
Ȇberanstrengen Sie Ihre Augen
nicht, Mr. Boyd«, sagte sie. »Würden Sie jetzt bitte mitkommen? Mr. Hurlingford
erwartet Sie.«
»Das klingt ja, als käme ich zu
spät zum Jüngsten Gericht«, sagte ich, während wir an dem Tisch der
Empfangsdame vorbeigingen.
»Mr. Hurlingfords Zeit ist sehr
kostbar«, erwiderte sie vorwurfsvoll. »Er wartet nicht gern.«
»Es ist immer dasselbe mit
diesen Multimillionären«, sagte ich düster. »Sie werden alle größenwahnsinnig.«
Wir fuhren mit einem Privatlift
in das
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