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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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immer noch klar denken können – warum sollte es mir dann anders ergehen? Weniger als Sie kann ich wohl kaum ausrichten.«
    Zorah empfing Hester in ihrem ungewöhnlichen Salon mit dem Tuch an der Wand und dem lodernden Feuer, das sich in dem blutroten Sofa widerspiegelte und die Bärenfelle auf dem Boden fast lebendig erscheinen ließ.
    »Wer, sagten Sie, sind Sie?« Zorah verzichtete darauf, sich zu erheben und musterte Hester nur mit beiläufigem Interesse.
    »Hätten Sie nicht meiner Zofe gegenüber Sir Olivers Namen erwähnt, hätte ich Sie nicht hereingelassen.« Sie sagte es in aller Offenheit, doch ohne jede Absicht, Hester zu verletzen. »Ich habe keine Lust, mich mit höflichen Floskeln abzugeben. Dazu fehlen mir die Zeit und die Geduld.«
    Hester ließ sich davon nicht abschrecken. An Zorahs Stelle hätte sie dasselbe empfunden. Sie hatte selbst einmal unter Anklage gestanden, und dasselbe drohte ja auch Zorah im Falle von Rathbones sich immer deutlicher abzeichnendem Scheitern. Gelassen betrachtete sie das eigenwillige Gesicht mit den weit auseinanderliegenden wunderschönen grünen Augen, der zu langen Nase und dem feinen, sinnlichen Mund. Zorah machte auf sie den Eindruck einer Frau, die bei aller Fähigkeit zu verzehrender Leidenschaft zu intelligent war, um ihren Verstand davon trüben zu lassen.
    »Ich habe gesagt, ich bin eine Freundin von Sir Oliver, weil das die Wahrheit ist. Wir kennen uns schon lange.« Hester hielt Zorahs forschendem Blick stand und unterband damit weitere Fragen.
    Zorah musterte sie mit wachsender Belustigung. »Und Sie machen sich Sorgen, daß dieser Fall seinem Ansehen schaden könnte?« schloß sie. »Sind Sie ihm zuliebe gekommen, um mich zu bitten, alles zurückzunehmen und zu sagen, daß ich mich getäuscht habe, Miss Latterly?«
    »Nein, das bin ich nicht«, entgegnete Hester in scharfem Ton.
    »Da Sie vorher nicht dazu bereit waren, sehe ich keinen Grund, warum sich das über Nacht geändert haben sollte. Aber wenn Sir Oliver Friedrichs Mörder nicht enttarnt, sitzen früher oder später Sie als Hauptverdächtige auf der Anklagebank. Wahrscheinlich früher.« Sie nahm unaufgefordert Platz. »Und ich kann Ihnen verraten, daß die extrem unbequem ist. So etwas kann man allerdings erst dann ermessen, wenn man selbst dort gesessen hat. Nach außen mag man ein noch so tapferes Gesicht aufsetzen, innerlich ist man verängstigt. So dumm, daß er nicht erkennt, daß seine Niederlage nicht nur einen Geld oder Prestigeverlust bedeutet, ist niemand. Sie bedeutet das Henkerseil.«
    Zorahs Züge spannten sich etwas an. »Sie reden nicht um den heißen Brei herum, Miss Latterly. Aber trotzdem kommen Sie doch Sir Oliver zuliebe. Was wollen Sie von mir?« Sie musterte Hester mit abschätzigem Blick.
    Hester war nicht klar, ob Zorahs Verachtung ihrem schlichten und so viel konventionelleren, um nicht zu sagen banalen Kleid galt oder ihrer niederen Herkunft, die sie dazu zwang, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Sollte es sich aber um die Geringschätzung einer tapferen Frau voller Unternehmungsgeist für all diejenigen handeln, die zu Hause blieben und sich mit typisch weiblichen Tätigkeiten abgaben, so war sie ihr in jeder Hinsicht ebenbürtig.
    »In der Annahme, daß Sie nach bestem Wissen die Wahrheit sagen«, erwiderte Hester, »möchte ich Sie dazu auffordern, Ihren Verstand statt nur Ihre Willenskraft zu bemühen und sich noch einmal auf die Geschehnisse in Wellborough Hall zu konzentrieren. Wenn wir keine neuen Details zutage fördern, beeinträchtigt das nicht nur Sir Olivers Karriere, der sich aufgrund einer Fehleinschätzung dieses äußerst unpopulären Falles angenommen hat, sondern dann steht Ihr eigenes Leben auf dem Spiel. Und – was Ihnen meiner Meinung sogar noch wichtiger ist – dann sind auch der Ruf und die Ehre derjenigen Männer und Frauen ruiniert, die für die Freiheit Ihres Landes kämpfen wollen. So, ich brauche jetzt Ihre Aufmerksamkeit, Gräfin Rostova.«
    Zorah richtete sich langsam auf. Ihre Züge spiegelten ungläubige Überraschung wider. »Sprechen Sie andere oft auf eine solche Weise an, Miss Latterly?«
    »In der letzten Zeit bestand kein Anlaß dazu, aber in der Armee habe ich in der Tat des öfteren meine Kompetenzen überschritten. Bei Notfällen ist so etwas unvermeidlich. Solange man Erfolg hat, wird es einem später verziehen. Wenn man scheitert, ist es noch das geringste der Probleme.«
    Zorah kniff die Augen zusammen. »In der

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