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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Armee?«
    »Im Krimkrieg. Aber das hat nichts mit dieser Angelegenheit zu tun.« Hester machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Wenn Sie nun bitte die Güte hätten, sich noch einmal die Geschehnisse in Wellborough Hall vor Augen zu führen.«
    »Ich glaube, Sie könnten mir gefallen, Miss Latterly«, sagte Zorah ganz ernsthaft. »Sie sind ja exzentrisch! Ich hatte keine Ahnung, daß Sir Oliver so interessante Freunde hat. Damit steigt er in meiner Hochachtung. Wie ich gestehen muß, habe ich ihn eher für trocken gehalten.«
    Zum eigenen Ärger lief Hester rot an. »Wellborough Hall«, wiederholte sie im tadelnden Ton einer Lehrerin.
    Gehorsam, wenn auch mit einem angespannten Lächeln, begann Zorah mit ihrem Bericht über die Ereignisse vom Tag ihrer Ankunft an. Sie würzte ihn immer wieder mit spitzen und teilweise ungemein witzigen Kommentaren, aber sobald sie auf den Unfall zu sprechen kam, verschwand alles Leichte. Sie wurde jäh düster, als hätte sie bereits damals gemerkt, daß am Ende nur Friedrichs Tod stehen konnte.
    Mitten im Erzählen klingelte sie abrupt nach ihrer Zofe und bestellte, ohne Hester nach ihren Wünschen zu fragen, das Mittagessen, Toast mit Kaviar, Weißwein, frische Äpfel und eine Käseplatte. Als es gebracht wurde, vergewisserte sie sich mit einem kurzen Blick, daß Hester zufrieden war, und entließ die Zofe wieder.
    Schon während des Essens setzte sie ihre Schilderung fort. Immer wieder unterbrach Hester sie, erkundigte sich näher nach bestimmten Einzelheiten und verlange eine genauere Beschreibung eines Zimmers oder des Gesichtsausdrucks oder des Tonfalls einer Person.
    Als Hester am Spätnachmittag ging, war sie völlig aufgewühlt von ungeahnten Eindrücken. Insbesondere über eine Möglichkeit mußte sie sich unbedingt bis ins Detail informieren , und darum beschloß sie, ihren alten Kollegen, Dr. John Rainsford aufzusuchen. Das war aber heute nicht mehr möglich, denn es war schon dunkel. Außerdem mußte sie zuallererst ihre Gedanken ordnen, ehe sie sie anderen erläuterte.
    Auf einmal hing alles von dem Urteil ab, das sie sich über Zorah gebildet hatte. Wenn sie sich nicht täuschte, kam es jetzt ganz auf deren Erinnerung an einen unscheinbaren Umstand an. Den mußte sie aber unbedingt überprüfen.
    Am Sonntag abend fand sich Hester wieder bei Rathbone ein. Zuvor hatte sie ihn über einen Boten gebeten, auch Monk zu sich zu bestellen. Bei ihrem Eintreffen warteten beide Männer mit kreidebleichem Gesicht. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
    »Und?« platzte Monk los, noch bevor sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
    »Konnte sie Ihnen etwas sagen?« fragte Rathbone genauso begierig und schluckte mit Mühe weitere Fragen hinunter. Es war ein Versuch, Hoffnung erst gar nicht aufkommen zu lassen, bevor Hester sie zerschlagen konnte.
    »Ich glaube, ja«, sagte Hester mit Bedacht. »Es könnte Ihre Antwort sein, aber Sie werden den Beweis führen müssen.« Und dann erklärte sie ihnen ihre Theorie.
    »Himmel!« ächzte Rathbone. Er schluckte und starrte sie bestürzt an. »Wie… abscheulich!«
    Monk schaute von Rathbone zu Hester. »Ist Ihnen klar, was ihn der Beweis kosten wird?« fragte er mit rauher Stimme. »Das ist sein Ruin! Selbst wenn er gewinnt – das werden sie ihm nie verzeihen!«
    »Ich weiß«, sagte Hester sanft. »Aber ich kann nichts für die Wahrheit, William. Außerdem glaube ich ja nur, daß ich darauf gestoßen bin. Was ist Ihnen denn lieber? Sie zu unterdrücken?«
    Sie wandten sich beide an Rathbone. Dieser war aschfahl geworden, aber er zögerte nicht eine Sekunde.
    »Nein. Wenn ich eine Aufgabe habe, dann der Wahrheit zu dienen. Manchmal verlangt die Gnade ein Opfer, aber das ist hier ganz gewiß nicht der Fall. Ich werde tun, was ich kann. Erklären Sie es mir noch mal in aller Ausführlichkeit. Bis morgen muß ich alles ganz genau wissen.«
    So erläuterte Hester es ihm detailliert, gelegentlich von Monk mit einer Zwischenfrage unterbrochen, während Rathbone aufmerksam mitschrieb. Sie saßen beisammen, bis das Feuer fast verglüht war und der auffrischende Wind Laub gegen die Fenster wirbelte. Im Zimmer selbst erzeugten die von draußen hereinscheinenden Gaslampen braune und goldene Lichtflecken.
    Am Montag morgen war der Gerichtssaal wieder gedrängt voll. Obwohl draußen Neugierige in langen Schlangen warteten, herrschte heute Stille. Sowohl Zorah als auch Gisela wurden von Wachleuten in den Saal eskortiert. Damit sollten sie

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