Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd
geschossen. Nun hörte er wieder Herrn Tengel zu.
»War Sols Betragen Euch angenehm?«
Angenehm? Was meinte er mit angenehm? Nein, natürlich hatte es nichts zu bedeuten.
»Ganz ausgezeichnet, vielen Dank!«
Tengel lachte. »Ihr versteht, Herr Johan, Euch kann ich es ja sagen, Ihr seid ja ein Freund der Familie. Wir haben uns große Sorgen um das Mädchen gemacht. Völlig umsonst.«
»Ach ja?«
Tengel hatte sich entschieden, alles auf eine Karte zu setzen. Der Schaden war bereits angerichtet, dieser Mann wußte allzu viel über sie, und wenn er Böses im Schilde führte, waren sie verloren. Und Tengel hatte nicht vor, diesen Mann auszuschalten. Der einzige Ausweg war, sein Vertrauen und seine Loyalität zu gewinnen.
Ja, wir hatten uns Sorgen gemacht wegen einer erblichen Belastung. Aber jetzt ist sie die beste und geschickteste Mitarbeiterin, die ich mir nur wünschen kann. Sie versorgt meine Patienten hervorragend.«
Gab es noch mehr, um die sie sich kümmerte? Johan fühlte einen heftigen und unmotivierten Stich von Neid.
»Und dabei hatten wir solche Angst wegen dem Fluch«, sagte Tengel.
Herr Johan zuckte in seinem Bett zusammen. »Fluch?«
»Ja. Sol und ich, wir wurden beide mit ihm geboren.
Eigentlich auch Liv und Are, aber bei ihnen hat er keine Macht. Mein Leben ist schwierig gewesen, Herr Johan.
Sich danach zu sehnen, wie alle anderen zu sein, und dann diese schwere Bürde tragen zu müssen! Meine Kindheit war so hart, daß ich es nicht mit Worten beschreiben kann, denn niemand könnte es verstehen, der es nicht selbst erlebt hat. Ich hatte viele Male Lust, Schluß zu machen mit meinem verdammten Leben, aber Selbstmord ist eine unchristliche Tat, das wißt Ihr ja selbst. Doch dann traf ich Silje. Und sie hat mein Leben in ein Märchen verwandelt. Ich bin der glücklichste Mann in Norwegen, Herr Johan, denn wenn man aus einer dunklen Nacht erwacht, scheint die Sonne umso heller.
Nur um Sol habe ich mir Sorgen gemacht, aber jetzt ist auch mit ihr alles in Ordnung.«
»Ihr erwähntet einen Fluch?«
»Ja. Möchtet Ihr mehr davon hören?«
»Aber ja, sehr gern.«
Wenn er wüßte, wie gern, dieser Unmensch mit seinen traurigen Augen…
Tengel machte eine Pause. Dann nickte er und begann.
»Einst am Anbeginn der Zeit… Nein, so lange ist es noch nicht her, aber es liegt einige Jahrhunderte zurück, da lebte ein Mann, der hieß Tengel vom Eisvolk.«
»Eisvolk?« rief Johan, aber er faßte sich sofort wieder.
»Ja. Habt Ihr davon gehört?«
Das hatte Johan. Von einem Mann, der auf der Durchreise von Trondelag nach Dänemark gewesen war.
Er hatte damit geprahlt, daß sie ein ganzes Tal voller Hexen und Teufelspack ausgelöscht hätten.
»Nein«, sagte er laut.
»Nun, dieser Tengel vom Eisvolk war jedenfalls ein sehr böser Mann. Er verkaufte seine Seele an den Teufel, heißt es, um Glück im Leben zu haben - und um den Preis, daß einige seiner Nachkommen böse Gaben haben würden, Eigenschaften und Fähigkeiten, die andere Menschen nicht hatten. Sie sollten in den Dienst des Bösen eintreten. Versteht Ihr?«
Johan nickte. Er zitterte vor Aufregung. Das war ja nun wirklich etwas, das er dem Gerichtshof vorlegen konnte!
Das Eisvolk. Die Verdammten und Verlorenen!
»Nicht etwa, daß ich an diese Geschichte glaube«, sagte Tengel. »Aber daß mein Stammvater etwas Böses in sich hatte, etwas, das wir Nachkommen geerbt haben, das ist sicher. Denkt nur an unser Aussehen! Ich bin einer von denen, die davon betroffen sind. Meine Nichte Sol auch.
Aber ich habe mein ganzes Leben lang versucht, das Böse in mir zu bekämpfen und es statt dessen in etwas Gutes zu verwandeln. Gott, wie viele schwere und verzweifelte Stunden ich durchlitten habe! Und Silje und ich haben versucht, Sol richtig zu erziehen, aber das war nicht immer leicht, denn sie kann nicht recht zwischen Richtig und Falsch, zwischen Gut und Böse unterscheiden. Erst jetzt, als Ihr gekommen seid, habe ich begriffen, wieviel Gutes in ihr wohnt. Sie ist ein wunderbares Mädchen, Herr Johan. Sie kämpft einen verzweifelten Kampf gegen das Böse in ihrer Seele.«
Listig fragte Herr Johan: »Aber Ihr und Sol seid doch wohl nicht die einzigen Verwandten des teuflischen Vorfahren?« »Doch, das sind wir. Ihr müßt wissen, daß die Schergen des Vogtes alle anderen umgebracht haben.
Aber uns gelang es, über das Gebirge zu entkommen.
Niemand weiß, daß wir noch am Leben sind. Niemand außer den beiden Damen auf Grästensholm und dem
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