Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
bestimmen. Sofern sie nicht verheiratet ist natürlich. Dann hat er keine Gewalt mehr über sie.« »Dann verheiraten wir sie eben«, sagte die lebhafte Marca Christiana. »Wir brauchen ja nicht zu erzählen, daß wir seinen Brief mit dem Befehl zur Heimkehr nach Frankreich bekommen haben.«
Gabriel Oxenstierna schüttelte den Kopf über seine im pulsive Ehefrau. »Und mit wem willst du sie verheiraten?« »Nun, das… weiß ich nicht.«
Sie schwieg, während sie die jungen Männer des Hofes im Geiste Revue passieren ließ. Der Gedanke, den rettenden Engel spielen zu können, versetzte sie in Hochstimmung. Aber der Graf, inzwischen Reichsjägermeister geworden, hatte auch nachgedacht. »Wie wäre es mit Mikael? Das Mädchen ist eine gute Partie und in gewisser Weise ganz niedlich.«
»Er ist doch viel zu jung«, protestierte Marca Christiana indigniert. »Er wird in der nächsten Woche erst siebzehn. Nein, das geht nicht!«
»Warum nicht? Mikael ist ein gewissenhafter und solider junger Mann, und er sitzt sozusagen zwischen allen Stühlen. Er ist weder von Adel, noch ist er nicht-adelig. Wir können ihm die kleine Jagdhütte auf Mörby geben, die steht sowieso meistens leer. Und ich habe den Gedanken noch nicht aufgegeben, aus ihm einen Soldaten zu machen. Ich kann ihn überall unterbringen, groß und stattlich wie er ist… «
Die »kleine Jagdhütte« war ein sehr geräumiges Gebäude, sehr komfortabel und von Kunsthandwerkern reich verziert.
Marca Christiana hatte gar nicht zugehört, sondern ließ sich den Vorschlag ihres Mannes durch den Kopf gehen. Anette de Saint-Colombe war zweifellos eine gute Partie. Sicher, sie war ein sehr überzeugte Katholikin und wirkte auch ein bißchen zu tugendhaft, aber das könnte sich im Laufe der Zeit ja ändern. In Schweden konnte Mikael sich keine adlige Braut erwarten. Und die Töchter der Kaufleute waren in der Regel recht langweilig erzogen. Aber ein französischen Fräulein in Not war natürlich etwas ganz anderes…
»Aber ist sie denn nicht älter als Mikael?« fragte sie. »Bestimmt nicht sehr viel. Vielleicht ein Jahr.« Marca Christiana gab langsam nach. »Ihr Vormund wird vor Wut toben«, sagte sie vorsichtig. »Das können wir Mikael nicht antun.«
»Nein, aber genau da kommt seine Soldatenlaufbahn ins Bild, verstehst du das nicht? Sie heiraten auf die Schnelle, und dann schicken wir ihn in eine der schwedischen Besitzungen. Dort hat man immer Bedarf an jungen, starken Soldaten und ganz besonders an Unteroffizieren. Für seine Karriere werde ich schon sorgen.«
»Braucht sie zur Heirat denn nicht die Zustimmung ihres Vormunds?«
»Meine liebe Marca, das versuche ich dir ja gerade zu erklären! Er muß hinaus ins Feld der Ehre, da bleibt keine Zeit zum Einholen der Genehmigung. Not kennt kein Gebot, wie du wohl weißt.«
»Das sieht sehr nach einer abgekarteten Sache aus, Gabriel. Aber ich glaube, du hast für das Mädchen die beste Lösung gefunden. Aber sollten wir nicht wenigstens Mikael erst fragen?« »Natürlich. Und das Mädchen auch.«
Mikael ging in den Sälen des Schlosses umher. Er war Königin Christines Page, wenn sie daheim im Schloß weilte. Eigentlich studierte er an der Universität von Uppsala, aber die war jetzt während des Sommers geschlossen, und er hatte nichts zu tun. Die Zeit kam ihm unendlich lang vor. In seinem Inneren brodelte die unbändige Lust der Jugend nach Aktivität, nach der Beschäftigung für Gehirn und Körper, auch wenn er eigentlich ein Träumer war.
Er blieb an einem der Fenster stehen und sah hinaus auf den Strömmen, wo die Fischer mit ihren großen Netzen in kleinen Booten unterwegs waren. In seinem Gesicht war die Traurigkeit seiner Sinne zu lesen, eine Traurigkeit, deren Ursprung er selbst nicht kannte. Mikael Lind vom Eisvolk fühlte sich ganz allein und wie ein Verirrter. Er hatte nicht immer solch traurige Gedanken, denn eigentlich ging es ihm bei Marca Christiana und ihrem Mann ganz ausgezeichnet. Nur wenn er allein war, kamen ihm diese düsteren Gedanken.
Wo bin ich eigentlich zu Hause? fragte er sich in Gedanken. Marca Christiana, die Cousine meiner Mutter, ist meine einzige Verwandte. Sie ist von Hochadel, ich nicht. Meine Mutter war auch von sehr vornehmer Herkunft. Sie starb bei meiner Geburt, hat man mir erzählt. Aber mein Vater war kein Adliger. Ein ungewöhnlich intelligenter Mann, heißt es. Hätte ich nur einen Bruchteil seiner Intelligenz geerbt, wäre ich dankbar und zufrieden. Jetzt war
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