Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
eigentlich recht gut. Endlich war Ruhe in sein Leben eingekehrt, nachdem er die so verwirrenden Familienverhältnisse seiner Kindheit hinter sich gelassen hatte.
Während all der Jahre war Marca Christiana sein fester Haltepunkt gewesen.
Um einen Begriff von seinem entwurzelten Dasein zu bekommen, muß man schon eine Liste anlegen.
1. Seine Eltern sterben im Jahr seiner Geburt.
2. Die Tante seiner Mutter, Juliana, zieht ihn mit ihrer Tochter Marca Christiana groß, der Cousine seiner Mutter.
3. Julianas Mann stirbt, und sie heiratet in zweiter Ehe Johan Baner.
4. Auch Juliana stirbt. Johan Baner, der aus seiner ersten Ehe drei Kinder hatte, heiratet eine vornehme Dame aus Deutschland.
5. Johan Baner stirbt und gibt auf dem Totenbett seine und Julianas Kinder, darunter auch Mikael, in die Obhut seiner Schwester Anna Baner, die mit dem schwedischen Reichsmarschall Gabriel Oxenstierna von Korsholm und Wasa verheiratet ist.
6. Im Jahre 1624 heiratet Marca Christiana den Sohn des Hauses, eine ausgezeichnete Partie: Gabriel, Graf von Korsholm und Wasa, Freiherr von Mörby und Lindholmen, Herr über Rosersberg, Edsberg und Korporie - ein Mann mit einer unglaublichen Karriere. Mit fünfundzwanzig Jahren wurde er 1644 Amtsrichter in Lappvesi in Finnland, ein Jahr später Oberst im Regiment von Uppland und im gleichen Jahr Hofmarschall. Seine Karriere verlief auch weiterhin erfolgreich.
Um Mikael kümmerte er sich aufs beste. Er hatte für den Jungen eine Offizierskarriere geplant, ohne zu wissen, daß ein solcher Beruf für die Mitglieder des Eisvolks ganz unpassend war. Nur Trond hatte sich danach gesehnt, soviel Feinde wie möglich zu erschlagen und so auf dem Schlachtfeld zu Ehren zu kommen - aber schließlich hatte er auch das böse Erbe in sich gehabt. Bei Mikael war von dem Fluch des Eisvolks nichts zu spüren, er war eines der sanftesten Mitglieder der Sippe. Marca Christiana verstand ihn gut und dämpfte ihren Mann, wenn er seinen Pflegesohn für hohe Offizierstitel erwärmen wollte. Mikael war begabt und bescheiden, ein ernster Junge voller Träume, von denen niemand etwas ahnte. Niemand wußte etwas von der Unruhe, die ihn oft überfiel und von der Gemeinschaft mit anderen ausschloß. Marca Christiana hatte nie begriffen, wie sehr seine wurzellose Kindheit ihn geformt hatte. Sie selbst war ein lebhaftes, weltoffenes Wesen, dem die ständigen Wohnwechsel und verschiedenen Pflegeeltern nichts ausgemacht hatten. Da ihr Mann Hofmarschall war, stand ihr immer eine kleine Wohnung im Stockholmer Schloß zur Verfügung. Mikael streifte oft in den leeren Sälen umher, was er gefahrlos tun konnte, denn Königin Christine war ununterbrochen auf Reisen und somit selten zu Hause. Weilte die Königin aber auf dem Schloß, so war auch ihr Vetter, Herzog Gustav von der Pfalz, den sie zu ihrem Thronfolger ernannt hatte, anwesend. Nicht alle waren froh darüber, denn einen Pfalzgrafen auf dem schwedischen Thron sah man nicht gerne.
Bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr verlief Mikaels Leben sehr ruhig, fast wie im Traum. Dann geschahen Dinge, die sein Leben sehr verändern sollten.
Mit den großen Feldmarschällen Pontus und Jacob de la Gardie waren ein paar ihrer französischen Verwandten nach Schweden gekommen, einige waren ursprünglich nur zu Besuch gewesen und dann dageblieben, andere weilten nur vorübergehend in Stockholm. Unter ihnen befand sich auch Mademoiselle Anette de Saint-Colombe, die nach dem Tode Jacob de la Gardies im Jahre 1652 ganz allein am Hofe war. Ihre Eltern waren verstorben, und ihr jetziger Vormund, ein entfernter Verwandter in Südfrankreich, verlangte ihre Rückkehr nach Hause. Er plante, das junge Mädchen zu heiraten, um so in den Besitz des Schlosses Loupiac und ihres großen Vermögens zu gelangen - und vielleicht einen Erben zu bekommen, den er noch nicht hatte. Aber Anette wollte nicht. In Marca Christianas Armen vergoß sie eine Flut von Tränen. Die zwei waren viel zusammen, da sie beide an dem steifen schwedischen Hof Ausländerinnen waren. »Was können wir nur tun, Gabriel?« Marca Christiana sah ihren Mann fragend an. »Der Vormund soll ein widerwärtiger, alter Trunkenbold sein, mit einem von Geschlechtskrankheiten entstellten Gesicht. Wir können Anette doch nicht einem solchen Schicksal überlassen?«
»Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben«, antwortete Graf Oxenstierna trocken. »Ein Vormund hat alle Rechte auf seiner Seite. Er kann über das Mädchen voll und ganz
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