Die Salzbaronin
begann, grobflockiges Fett zu schmelzen, indem sie es fortwährend glattrührte. Wie bei allem, was sie tat, waren ihre Bewegungen von konzentrierter Bestimmtheit erfüllt. Sie warf drei Handvoll gelbe Blüten in das Fett und sah zu, wie dieses sich augenblicklich orange färbte. Ihre Arme brannten, und sie musste sich zwingen weiterzurühren. Normalerweise lenkte sie nichts, nicht die geringste Kleinigkeit, ab von dem, was sie gerade tat, doch heute flog ihr Blick immer wieder in Richtung Dorf. Gerade bog Götz Rauber, einer der fünf Sudhausvorsteher, zusammen mit seinen Leuten um eine Ecke. Während die andern nach acht Stunden Holzschleppen, Feuermachen, Solewassernachkippen und Salzabstreichen krumm und bucklig daherkamen, war Rauber die Müdigkeit zumindest nicht anzusehen. Fast leichtfüßig lief er, mit breiteren Schultern als jeder andere und Beinen so kräftig wie kleine Baumstämme. Er war ein guter Vorsteher, behandelte die Leute ordentlich. Kein Menschenschinder. Trotzdem wurde unter seiner Aufsicht mehr Salz gesiedet als in den anderen vier Sudhäusern. Es war nicht verwunderlich, dass die Leute, deren Lohn sich nach dem Salzertrag richtete, ihn wohl zu schätzen wussten.
Und dann sah Rosa sie den staubigen Weg zwischen den Hütten entlangkommen. Dorothea von Graauw, die Tochter des Landgrafen. Sie war auf den Tag genauso alt wie Rosa, doch ihr Leben hätte nicht verschiedener sein können. Als Rosa sah, wie selbstverständlich die Salinenleute stehenblieben, um ein paar Worte mit Dorothea zu wechseln, spürte sie plötzlich einen Kloß in ihrer Kehle. Manche Dinge änderten sich wirklich nie: sie auf der einen, Dorothea auf der anderen Seite der Hecke. Einer musste wohl einen Scherz gemacht haben, den Dorothea von Graauw so erheiternd fand, dass sie aus voller Kehle lachte. Die anderen stimmten ein. So fröhlich war von den Rehbachern mit ihr noch keiner gewesen, schoss es Rosa bitter durch den Kopf. Doch als sie beobachtete, wie Götz Rauber sich von der jungen Gräfin abwandte und ohne das Gesicht zu verziehen in Richtung seiner Hütte ging, fühlte sie sich augenblicklich besser. Wenigstens einen gab es, der vor lauter Ehrfurcht und Begeisterung für die Junge nicht in Ohnmacht fiel!
Was hatte Harriet über das Mädchen aus dem Herrenhaus zu sagen gehabt? »Gleich und gleich gesellt sich gern - die Regel darf nicht durchbrochen werden.« Und: »’s ist nicht gut, dass die Junge sich in der Saline aalt wie eine Forelle im Bach.«
Rosa klang noch heute ihre Sehnsucht von damals in ihren Ohren, als sie ihrer Mutter mit kleiner Stimme geantwortet hatte: »Wahrscheinlich hat die junge Gräfin zu Hause niemanden, der mit ihr spielt.«
»Dorothea ist nicht zum Spielen da!« Harriets Gesicht, verächtlich und abweisend, tauchte jetzt aus der Vergangenheit vor ihren Augen auf. »Das Kind ist besessen vom Salz«, hatte sie in einem Ton gesagt, den sie ansonsten nur benutzte, wenn sie von einem Todgeweihten redete. »Milena wird diesen Winter noch sterben« oder »Der alte Sepp wird die heutige Nacht nicht überleben« - den gleichen Ton, den Harriet für solche Nachrichten benutzte, kühl, ohne innere Regung, aber mit Bestimmtheit, den hatte sie damals verwendet. Obwohl Harriet ihre Tochter immer wieder mit ihren präzisen Vorhersagen verblüfft hatte - sei es nun das Wetter betreffend oder Dinge, die die Leute aus der Siedlung betrafen -, hatte Rosa ihr gerade in diesem Fall nicht glauben wollen. »Mutter hat die Tochter des Grafen von Graauw vom Tag ihrer Geburt an nicht leiden können!« Rosa schüttelte den Kopf. Sie merkte gar nicht, dass sie laut sprach, so tief war sie in der Erinnerung an die alten Zeiten versunken.
Mehr als einmal hatte Harriet ihr die unselige Geschichte erzählt: Zur gleichen Zeit, am selben Tag, an dem Lili von Graauw versucht hatte, einen weiteren Sohn für den Grafen aus ihrem Körper hinauszupressen, hatte auch Rosas Mutter in den Wehen gelegen und deshalb der Gräfin nicht beistehen können. Doch während in der Hütte am Waldrand Rosa wie ein junges Kätzchen herausschlüpfte, war das große Herrenhaus von Todesschreien erfüllt gewesen: Noch während der Kopf des Säuglings sichtbar wurde, hatte Lili den letzten Atemzug getan. Nachdem die hilflose Köchin und das Kammermädchen das Kind vollends herausgezogen hatten und sahen, dass es ein Mädchen war, war es totenstill geworden: Wie sollten sie dem Grafen, der vor der Tür wartete, das und den Tod der Gräfin
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