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Die Salzbaronin

Die Salzbaronin

Titel: Die Salzbaronin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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    Wer wie ein Tölpel dem Leben hinterher rennt, kann nicht erwarten, dass das Leben in ihm selbst stattfindet.« Völlig unvermittelt fielen Rosa die Worte ihrer Mutter ein. Sie stand im Rahmen der Tür ihrer kleinen Hütte am Waldrand, und das erste, was sie an diesem Morgen hörte, waren die Stimmen der Salinenkinder, die jenseits der dichtgewachsenen Hecke spielten - ihr Schreien und Kreischen, wenn das Spiel, das sie gerade beschäftigte, zu wild werden drohte, vereinzelt ein Heulen, wenn einer sich im Eifer verletzte. Von den Eltern schaute niemand nach ihnen, die Erwachsenen hatten dafür keine Zeit. Zwischendurch sangen und tanzten die Kinder auch. Einfache Weisen, deren Texte jedoch von fröhlichem Inhalt sein mussten, denn immer wieder unterbrach glucksendes Lachen den Gesang.
    Genauso unvermittelt wie die Worte ihrer Mutter war auf einmal auch die alte Sehnsucht wieder da. Dabeisein. Dazugehören. Nichts anderes hatte sie sich von Kindesbeinen an gewünscht. Wie in einem Spiegel sah sie das kleine Mädchen von früher vor sich, das so gern zu den anderen hinübergegangen wäre, sich in den Kreis eingereiht und mitgespielt hätte, was immer gerade gefragt war! Es hätte ihr nichts ausgemacht, die schönsten Kiesel, die knorrigsten Wurzeltierchen - die, welche am unheimlichsten aussahen, hatte sie am liebsten gehabt - herzugeben; auch hätte sie sich bereitwillig immer ans Ende einer Spielrunde eingereiht. Hauptsache, sie wäre dabei gewesen. Doch Harriet hatte nicht gewollt, dass sie - die Tochter einer Heilerin - mehr als das Nötigste mit den Kindern aus der Rehbacher Siedlung zu tun hatte. »Eine Heilerin braucht Ruhe«, hatte sie immer wieder gemurmelt. »Hätte ich Lärm gewollt, wäre ich nicht von Schwäbisch Hall hierher gezogen.« Und Rosa hatte sich mehr als einmal gefragt, wie ihr Leben wohl ausgesehen hätte, wäre sie tatsächlich in der dreißig Meilen entfernten Stadt aufgewachsen und nicht hier, am Rand der kleinen Salinensiedlung, die man nicht einmal als Dorf bezeichnen konnte.
    Harriet war nun schon fünf Jahre tot - doch noch immer, wenn Rosa an ihre Mutter dachte, brodelte die alte Einsamkeit in ihr hoch wie eine aufgewärmte Suppe. Damals waren sie wenigstens zu zweit gewesen. Heute war sie die Kräuterfrau, zu der die Dorfbewohner kamen, wenn sie ein Zipperlein plagte. Heute musste sie sich nicht mehr auf Zehenspitzen auf eine hölzerne Kiste stellen, um einen Blick über die Hecke zu erhaschen. Doch genau wie damals wehte ihr der Duft der erblühten Rosenhecke in die Nase - süß, verführerisch. Sehnsüchtig sog sie das Aroma der Blüten ein.
    »Was hast du heute nur für seltsame Laune!« schalt sie sich. Dass Rosa mit sich selbst redete, war nichts Ungewöhnliches, zumindest nicht für sie. Manchmal jedoch, wenn sie es in der Gegenwart anderer tat, merkte sie an deren hochgezogenen Brauen, dass die es wohl komisch fanden. Nun, das war ja wohl nicht das einzige, was die Rehbacher an ihr komisch fanden. Oft verbrachte sie halbe Tage im Wald, andere Male saß sie stundenlang in der Hecke, um dort mit den Vögeln zu sprechen, mit Käfern oder dem Fuchs, der - das hatte ihre Mutter sie gelehrt - wie die anderen Tiere ein Geistwesen war, welches ihr Geheimnisse zuraunte und Wissen verlieh. Sie wusste, dass die Salinenarbeiter sie Hagezusse, also Heckenweib, nannten und sie deswegen verspotteten. Dennoch kamen sie zu ihr und vertrauten ihrem Kräuterwissen bei allen Leiden, die sie plagten. Aber darauf beschränkte sich auch der einzige Kontakt, der zwischen ihr und den Dorfbewohnern stattfand. Natürlich redeten sie mit ihr, doch sie waren zu verschieden, als dass sie mehr als ein paar unverbindliche Worte über das Wetter und die Arbeit in der Saline gewechselt hätten.
    Mit Mühe zwang Rosa ihren Blick weg vom Dorf, wo sich nun Türen öffneten und Männer und Frauen aus den Hütten traten und in Richtung der fünf Sudhäuser gingen. Ohne dass Rosa hinschauen musste, wusste sie, dass kurze Zeit später andere Rehbacher denselben Weg zurückkommen und ihre Türen erschöpft hinter sich schließen würden.
    Schichtwechsel in der Saline. Die einen kamen, die anderen gingen, damit die fünf Öfen, auf denen Sole so lange gesiedet wurde, bis sich die Salzkristalle vom Wasser trennten, nur ja nicht stillstanden.
    Mit einer Resolutheit, die sie an diesem Morgen beinahe selbst überraschte, drehte sich Rosa um und trat an ihre eigene Feuerstelle. Bald hatte sie ein kleines Feuer entfacht und

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