Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
wird dein Kopf auf der Mauer des Yamenzur Schau gestellt werden. Selbst wenn Qian Ding, Seine Exzellenz Qian, dich um meinetwillen verschonen würde, so würde er gegen Yuan Shikai, den Großen Yuan, doch nichts ausrichten; und selbst wenn Yuan Shikai, der Große Yuan, Gnade walten ließe, so würde Knobel dich doch verurteilen. Ja, Vater, diesmal ist dein Schicksal besiegelt!
Meinen Gedanken freien Lauf lassend, eilte ich ostwärts, der leuchtendroten Sonne entgegen, über die blauen Pflastersteine der Straße. Das gekochte Hundebein in meinem Korb verströmte seinen Duft. Ich sah ein dünnes Rinnsal von Blut auf der Straße und plötzlich war mir wieder, als sähe ich den Kopf meines Vaters vor mir die Straße hinabrollen und – Vater! Dein Kopf rollte und sang dabei immer noch Opernarien! Mit den Melodien der Katzenoper kann man die einfachen Frauen aufspießen wie mit Bajonetten. Es sind ursprünglich volkstümliche Straßenopern gewesen. Erst mein Vater hat große Kunst aus ihnen gemacht. Die Kehle meines Vaters, die so weich ist wie das zarte Fruchtfleisch einer Wassermelone, hat unzählige Damen unserer Heimat Gaomi zu bezaubern vermocht. Auch meine verstorbene Mutter war davon so hingerissen, daß sie ihn heiratete. In ganz Gaomi sprach man von ihr, weil sie so schön war. Selbst die erfolgreichen Lizentiaten der Familie Du machten ihr den Hof, doch sie lehnte alle ab, um einem armseligen Schauspieler zu folgen ... Da kam mir der taube Zhou entgegen, den der Lizentiat Du damals als Heiratsvermittler geschickt hatte, und ging, seinen Wassereimer geschultert, an mir vorüber. Er beugte sich unter der Last und sein Nacken war krebsrot. Das wirre Haar auf seinem Schädel war schlohweiß und auf seinem Gesicht glänzten Schweißperlen. Schnell und schwer ging sein Atem. Das Wasser schwappte aus seinen Eimern und hinterließ Spuren wie ein Strom glänzender Perlen. Und plötzlich sah ich deinen Kopf, Vater, im Wassereimer des tauben Zhou! Das Wasser des Eimers verwandelte sich in tiefrotes Blut. Meine Nase nahm sogar den warmen Blutgeruch wahr. Es roch, wie wenn mein Mann Zhao Xiaojia den Schweinen und Hunden die Bäuche aufschlitzt, eine Mischung aus Gestank und Wohlgeruch. Der taube Zhou konnte nicht wissen, daß ihm sieben Tage später, als er sich zum Exekutionsplatz meines Vaters aufmachte, um die Katzenoper zu hören, von einem Mausergewehr der deutschen Teufel der Bauch zerfetzt werden würde, er ahnte nicht, daß aus seinem geöffneten Leib die Gedärme herausquellen würden wie bunte Aale.
Als er an mir vorüberging, hob er mühsam den Kopf und grinste mich höhnisch an. Wenn selbst dieser taube Holzkopf es wagt, mich zu verhöhnen, Vater, dann steht fest, daß dein Todesurteil gefällt ist. Es kann keine Rede mehr davon sein, daß Qian Ding, der heute vom Kaiser zurückkehrt, etwas anderes als die Todesstrafe für dich mitbringt. Eine Enttäuschung folgt der anderen, Vater, und doch kann ich nicht aufhören zu hoffen. Vater, nicht wahr, du und ich, wir geben niemals auf, wir flößen auch einem toten Pferd noch Medizin ein! Ich nehme an, daß gerade jetzt, in diesem Augenblick, Exzellenz Qian Ding mit dem aus der Provinzhauptstadt Jinan herbeigeeilten Yuan Shikai und Knobel aus Qingdao im Gästehaus des Yamen auf ihren Betten liegen und Opium rauchen. Sobald Yuan und Knobel wieder abgereist sind, mache ich mich noch einmal mit einer Portion Hundefleisch auf den Weg zum Yamen. Er muß mich nur zu Gesicht bekommen! Bestimmt hört er mich an. Dann wird er nicht mehr Seine Exzellenz Qian sein, sondern nur noch der Enkelsohn der Familie Qian, der mich mit seinen Blicken verschlingt. Ach Vater, meine größte Sorge ist, daß sie dich in die Hauptstadt bringen, das wäre dein sicheres Ende. Nur wenn die Strafe hier in der Präfektur ausgeführt werden soll, ist noch nicht alles verloren. Ich finde schon irgendeinen Bettler, der als Sündenbock herhalten muß. Wir lassen ihn einfach an deiner Stelle büßen. Vater, wenn ich daran denke, wie herzlos du gegen meine leibliche Mutter gewesen bist, dann dürfte ich eigentlich nicht um deine Rettung bemüht sein. Ich sollte dich einfach sterben lassen, damit du den Frauen nichts mehr anhaben kannst. Doch du bist immer noch mein Vater: Ohne Himmel gibt es keine Erde, ohne Henne kein Ei, ohne Liebe keine Hoffnung und ohne dich gäbe es mich nicht. Man kann die alten Kleider durch neue ersetzen, aber ein Vater ist durch nichts zu ersetzen.
Vor mir lag der Tempel
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