Alice at Wonderland
WER IST EIGENTLICH ALEX?
»Was machst du eigentlich beim Fernsehen?«, fragt mich Jan danach.
Jan raucht danach übrigens nicht. Kann er auch gar nicht. Ich habe ihm die letzte Zigarette aus der Packung gefischt.
»Was mit Fernsehen«, murmele ich, etwas wattig im Kopf. Zugegeben, nicht wirklich die intelligenteste Ant wort. Tropische Mixgetränke mit enthemmendem Al kohol-Anteil plus Sex machen mich immer weich in der Birne. Außerdem habe ich keine Lust, über meinen Beruf zu reden, ausgerechnet jetzt. Männer haben einen absolut sicheren Instinkt dafür, Fragen zu unpassenden Zeit punkten zu stellen. »Liebst du mich?«, fragen sie einen zum Beispiel immer auf der Achterbahn oder unter Was ser.
Wenigstens hat er nicht gefragt: »Was denkst du gerade?« Aber dafür ist es auch noch zu früh. Wir kennen uns erst seit acht Stunden. Und außerdem ist das eigentlich ein weibliches Privileg, Fragen zu stellen, auf die wir die Antworten bereits wissen. Wenn man einen Mann fragt,
was er gerade denkt, lautet die Antwort nämlich immer: »Nichts.« Das lässt tief blicken - oder Männer denken nur dann, wenn man sie nicht fragt. Aber irgendwann muss man sie ja mal dabei erwischen. Da sich das Denken im Millisekunden-Bereich abspielt, müsste man also permanent fragen: »Was denkst du gerade? Was denkst du gera de? Was denkst du gerade?«
Darauf gibt's natürlich nur eine einzige Antwort: »Ich denke gerade, wann hört die Alte endlich mit der nervigen Fragerei auf?«
Ich würde nicht so weit gehen zu glauben, dass Män ner nie denken. Die Vorstellung ist wenig schmeichelhaft, dass Jan nichts gedacht hat, als er mich gestern Abend zum ersten Mal in der Trees Lounge gesehen hat. Das absolute Minimum ist ein einfaches: »Holla. Wer ist denn die?«
Wer mehr Romantik möchte, sollte sein Glück nicht gerade in einer Cocktailbar versuchen. Ich will mehr Ro mantik, ich will aber auch Sex. Beides gleichzeitig zu be kommen ist etwa so leicht, wie einen fairen Preis bei einem arabischen Bazar-Verkäufer auszuhandeln. Und mein letz tes Abenteuer liegt schon eine Weile zurück. Die Geschich te mit Jan war Zufall, und nach dem gemeinsamen Frühstück wird schnell klar, dass er mein Single-Dasein nicht beenden wird. So, wie sie Fragen zu den unpassendsten Gelegenheiten stellen, tun Männer das zu den passenden eben nicht. Dabei wäre es so einfach: »Gibst du mir deine Telefonnummer? Dann kann ich dir heute Abend Bescheid sagen, wann unser Flieger nach Bali geht. Ich hab dort ein Strandhaus. Du kommst doch mit?« Ich weiß nicht, ob das unter die Rubrik Romantik fällt. Unter die Rubrik »Ja, aber gerne« auf jeden Fall.
Jan hat nicht mal eine Hütte im Hunsrück, was nicht schlimm ist, da ich den Hunsrück so spannend finde wie eine Bahnunterführung. Schlimm ist der peinliche Ab schied, bei dem keiner zugeben kann, dass mehr als eine nette Nacht eben nicht drin war, und man sich benimmt,
als hätte der andere einen gerade beim Volksmusikhören ertappt.
Jan verschwindet also, ohne erfahren zu haben, was ich beim Fernsehen mache. Das erspart mir vier Stunden zähes Erklären. Denn jedes Mal, wenn ich erwähne, dass ich als Online-Redakteurin arbeite, werde ich so lange mit Fragen bombardiert, bis ich selbst nicht mehr weiß, was ich beim Fernsehen eigentlich mache. »Die meiste Zeit kurve ich auf den Internetseiten des Senders herum.« Das sollte doch eigentlich genügen. Aber prompt kommt: »Wie geht das denn?« Und ich werde gezwungen, in mei nen Ausführungen die Komplexität physikalischer Vor gänge in einem Teilchen-Beschleuniger anzunehmen. Am Ende dieses Vortrages muss ich dann meine geneig ten Zuhörer mit schallenden Ohrfeigen aus ihrem Tiefschlaf reißen und darf wieder von vorne anfangen. Dann wünsche ich mir immer, ich wäre Fleischfachverkäuferin geworden. Das sagt alles in einem Wort und provoziert keine weiteren Fragen außer: »Gibt's die Jagdwurst auch am Stück?«
Der Job als Online-Redakteurin hat aber zwei wesent liche Vorzüge. Ich kann eine Menge Arbeit an meinem Computer zu Hause erledigen, und ich kann meine Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes abschalten.
Also bleibe ich heute offline, was mir Zeit gibt, ein paar notwendige Besorgungen zu machen. Leider aber auch, wieder mal über meine Situation ins Grübeln zu geraten. Single sein umfasst - außer, fast immer alles allein zu tun - im Wesentlichen zwei Dinge: Fast immer alles allein tun, und die Lebensmittel vergammeln in Rekordzeit. Es sei denn,
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