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Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)

Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)

Titel: Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Seeberg
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werden. Die Eltern hatten getrennt voneinander einmal pro Woche für einige Stunden Besuchskontakte, bei denen jeweils ein Mitarbeiter des Kinderschutzbundes anwesend war, um zu garantieren, dass die Besuche auch zum Wohl der Kinder verliefen.
    Herr Dickmann erzählte, er habe mit seinen Kindern bei der Pflegefamilie im Garten gespielt.
    »Und da … Da haben die Kinder …«
    Er brach ab und rang um Fassung.
    »Wissen Sie, ich hab da so mit denen gespielt und dann …«
    Herr Dickmann schaute nach unten, knetete seine Hände und holte mehrmals tief Luft.
    »Die Kinder haben … Sie haben alle drei …«
    Himmel! WAS haben sie denn nun?! Ich sah, wie schwer es Herrn Dickmann fiel zu erzählen, was die Kinder getan, gesagt oder gefragt haben, wurde aber nun doch ungeduldig, weil mein Kopf schon damit begonnen hatte, diverse Möglichkeiten durchzuspielen.
    »Herr Dickmann, was haben Ihre Kinder?«
    Er schaute mich an, und ich sah, dass er weinte.
    »Gelacht! Sie haben gelacht!«
    Herrn Dickmann schüttelte es, so sehr schluchzte er.
    Ich musste ihm das Taschentuch in die Hand legen, weil er kaum noch etwas um sich herum wahrzunehmen schien, und ließ ihn erst einmal zu Ende weinen.
     
    Die Kinder haben gelacht. Und ich ahnte, was ihn daran so erschüttert hatte.
    Nach einigen Minuten, in denen mir unter anderem einfiel, wie froh ich sein konnte, dass ich diesen Termin alleine mit Herrn Dickmann hatte und nicht Gefahr lief, dass seine Mutter jeden Moment ins Zimmer gepoltert kam, um mich dafür zu schimpfen, dass ich ihren »Mischael« zum Weinen gebracht hatte, hatte sich Herr Dickmann wieder beruhigt.
    Er erzählte, dass ihm an diesem Nachmittag erst klargeworden war, wie unglücklich seine Kinder gewesen sein mussten. Er hatte sie schon so lange Zeit nicht mehr lachen gehört, dass es ihm ganz fremd erschienen war.
    Und dann redete er sich seinen ganzen Schmerz, seine Wut und seine Verzweiflung von der Seele. Er sprach davon, wie er vor seinen Kindern zu weinen angefangen und die Pflegemutter ihn beiseitegenommen hatte. Er erzählte, dass er erst jetzt verstanden habe, was die ganze Zeit so furchtbar schiefgelaufen war.
    »Ich hab einfach immer gedacht, alle anderen wissen besser als ich, was richtig ist. Ob da meine Mutter sagt, was zu tun ist, oder meine Frau mir sagt, dass das alles so in Ordnung sei … Und ich wollte das ja auch glauben. Aber ich hab doch gewusst, dass was nicht stimmt! Das spürt man ja. Aber ich hab viel zu viel Angst gehabt, dass meine Frau weggeht und die Kinder mitnimmt, und ich dann ganz alleine bin. Und das ist ja auch schon so lange so gelaufen. Ich wollte mir nicht selbst sagen müssen, dass ich total versagt habe als Vater. Aber das hab ich. Ich hab einfach nichts gemacht. Und meine Kinder sind fast kaputtgegangen. Ich bin so ein Feigling. Wie soll ich das denn meinen Kindern erklären? Und wie soll ich denn damit weiterleben? Das kann ich ja nie wiedergutmachen! Ich hab danebengestanden und nichts getan. Und meine Kinder haben das Lachen verlernt!«
    Es war einer der wenigen Augenblicke, in denen mir für einen Moment die professionelle Distanz verlorenging. Diesem Mann dabei zuzusehen, wie er immer wieder von Emotionen überrollt wurde, um Fassung rang, erklärte, analysierte, verzweifelte, Hoffnung schöpfte und schließlich einen Weg fand, überraschend reflektiert über seine Vergangenheit zu sprechen, war sehr berührend. Und beeindruckend.
    Ich gebe zu, dass ich Herrn Dickmann all das nach dem ersten Zusammentreffen nicht unbedingt zugetraut hätte.
    Nachdem er lange genug über seine Schuldgefühle, Zweifel und Wünsche gesprochen hatte, machten wir eine Pause, die ich ebenso nötig hatte wie er.
     
    Es ist meiner Meinung nach vollkommen in Ordnung, wenn man auch als Sachverständige hin und wieder so sehr mitfühlt, dass man eher in die Therapeuten- oder schlimmstenfalls Freundesrolle zu rutschen droht. Das kommt vor und ist menschlich.
    Aber um weiter korrekt zu begutachten, sollte man dann eben etwas tun, um wieder die nötige Distanz herzustellen, so dass man das Ganze so neutral wie möglich überblicken kann. Eine Pause mit Kopfhörern und ein bis zwei guten Songs oder einer langen Mail an einen guten Freund wirkt bei mir Wunder. Diesmal war ich zu aufgewühlt, um eine Mail zu schreiben, und entschied mich für die Kopfhörer und Tony Joe White. Danach kramte ich in den Tiefen meines Rucksacks ein glücklicherweise noch nicht fossiles Kaubonbon hervor und ging

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