Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
recht. Was nun?
Nach allem, was ich bislang wusste, sprach nicht wirklich viel dafür, dass es Lisa bei ihrem Vater gutgehen würde. Aber »nicht gutgehen« und »akute Kindeswohlgefährdung« sind eben zweierlei.
Herr Hofmann hatte nach der Scheidung weiterhin mit der Mutter das gemeinsame Sorgerecht für beide Kinder gehabt. Ausgeübt hatte er es nicht. Frau Hofmann und er hatten kaum Kontakt zueinander gehabt, und er hatte alle Entscheidungen ihr überlassen. Aber Tatsache war, dass er rechtlich gesehen nun allein sorgeberechtigt war. Das bedeutete, dass er auch bestimmen konnte, wo seine 13- jährige Tochter wohnen sollte, solange er nichts getan hatte, was rechtfertigen würde, ihm das Sorgerecht zu entziehen.
Das wusste natürlich auch das Jugendamt. Und ich bin sicher, dass es etliche Mitarbeiter gegeben hätte, die das als Argument genutzt hätten, um einfach nichts zu tun.
Nicht so Frau Ehring. Sie hatte einen Bericht an das Familiengericht geschrieben, der den Richter veranlasst hatte, ein Verfahren zu eröffnen. Im ersten Gerichtstermin einigte man sich darauf, dass sich die Sachverständige, also ich, innerhalb von einer Woche ein erstes Bild machen sollte und man sich dann wieder zusammensetzen würde. Immerhin hatte sich Herr Hofmann darauf eingelassen. Von Frau Ehring wusste ich allerdings, dass der Anwalt des Vaters dabei einiges an Überzeugungsarbeit geleistet hatte.
Als ich Lisa zum ersten Mal sah, war ich erstaunt, wie klein und zierlich sie war. Ich hätte sie auf nicht älter als 11 Jahre geschätzt. Und mit ihren hellroten Locken und den grünen Augen sah sie ihrer großen Schwester kein bisschen ähnlich.
Ich traf sie einen Tag nachdem ich mit Maria und Frau Roth gesprochen hatte, in den Räumlichkeiten des Jugendamtes, die kein bisschen wie Büros, sondern vielmehr wie gemütliche Wohnzimmer aussahen. Aber irgendwie waren sie das eben nicht. Man saß hier nicht, um es gemütlich zu haben. Man saß hier, um Probleme zu wälzen, Kompromisse zu finden und sich im besten Fall zu vertragen.
Ich hatte geplant, erst mit Lisa, dann mit ihrem Vater und anschließend eventuell mit beiden zusammen zu sprechen.
»Ich möchte wirklich gerne bei Frau Roth wohnen. Da kann ich meine Freunde behalten, weiter auf meine Schule gehen und … Und da bin ich auch glücklich. Ich mag Frau Roth und ihren Mann auch. Papa mag ich auch irgendwie, aber ich will da echt nicht hin. Ich kenn da niemanden und Papa ist mir ja auch irgendwie fremd. Und ich mag seine Frau nicht. Und deren Kinder kenn ich gar nicht. Und ich … Ich will das nicht. Gar nicht.«
Lisa sah mich bittend an.
Und ich fühlte mich elend.
Frau Ehring, Lisa, Frau Roth, Maria, wahrscheinlich auch der Richter … Sie alle zählten darauf, dass ich etwas würde tun können, damit Lisa zukünftig bei der Familie Roth bleiben könnte. Ich wollte dem Mädchen auch gerne helfen. Sehr gerne. Natürlich.
Aber nach dem Gespräch mit Herrn Hofmann war klar, dass das schwierig bis unmöglich werden würde.
Er war eloquent und zeigte sich vordergründig verständnisvoll. Natürlich würde Lisa ihren Hund mit nach Hamburg nehmen und ihre Schwester sowie Frau Roth regelmäßig besuchen dürfen.
»Da wird es ihr sicher gleich gutgehen. Sie hängt ja so an dem Hund. Und da kommen wir ihr natürlich entgegen. Sie bekommt auch ein eigenes Zimmer. Wir haben für alles gesorgt. Sie hat bei uns alles, was sie braucht.«
Herr Hoffmann schilderte, er würde sich zumindest in der Anfangszeit ganz viel Zeit für seine Tochter nehmen. »Dann kann ich ja mal mit ihr in den Zoo gehen oder ins Schwimmbad.«
Herr Hofmann erzählte, dass die Schwierigkeiten im Hinblick auf seinen Umgang mit Maria und Lisa auf das unversöhnliche und boykottierende Verhalten seiner Ex-Frau zurückzuführen gewesen seien. »Aber das ist ja jetzt unwichtig. Und natürlich werde ich mit Lisa nicht über diese Dinge sprechen. Sie soll ja ihre Mutter in guter Erinnerung behalten. Es geht ja jetzt in erster Linie darum, dass es Lisa gutgeht.«
Herr Hofmann wusste, auf was es ankam, und sagte absolut nichts, was einen Anhaltspunkt für eine fehlende Erziehungsfähigkeit hätte darstellen können.
Einzig Lisas Willensäußerung stand Herrn Hofmanns Vorhaben entgegen. Aber auch hierfür hatte er eine Erklärung: »Das ist ja klar, dass Lisa schon alleine aus Loyalität zu ihrer Mutter mir gegenüber erst einmal ablehnend ist. Frau Hofmann hat ja nichts unversucht gelassen, um meine
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