Die Schale der Winde
herausstellte.
»Er ... hat drei Schwestern gedämpft?« fragte Samitsu schrill. Sie schlug sich jäh eine Hand auf den Mund, drehte sich um, beugte sich über die Seitenwand des Wagens und erbrach sich geräuschvoll. Niande folgte ihr darin auf dem Fuße.
Und Cadsuane... Cadsuane berührte Rands bleiches Gesicht und strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. »Hab keine Angst, Junge«, sagte sie weich. »Sie haben meine und Eure Aufgabe erschwert, aber ich werde dich nicht stärker verletzten als nötig.« Min erstarrte innerlich.
Die Wächter an den Stadttoren schrien hinter dem vorüberrollenden Wagen her, aber Cadsuane befahl Meister Tol, nicht anzuhalten, woraufhin er die Maultiere noch härter antrieb. Die Menschen auf den Straßen sprangen aus dem Weg, um nicht überfahren zu werden, und der Wagen ließ Schreie und Flüche, umgestürzte Sänften und von der Straße abgekommene Kutschen hinter sich. Schließlich ging es die breite Rampe zum Sonnenpalast hinauf, aus dem dermaßen viele Wächter in Lord Dobraines Farben hervordrangen, als wollten sie ganze Horden der Finsternis bekämpfen. Während Meister Tol aus voller Kehle schrie, daß die Aes Sedai ihn hierzu gezwungen hatten, erblickten die Soldaten Min. Dann sahen sie Rand. Min hatte geglaubt, sie habe sich schon vorher in einem Wirbelsturm befunden, aber sie hatte sich geirrt.
Zwei Dutzend Männer versuchten gleichzeitig, in den Wagen zu greifen und Rand herauszuheben, und jene, denen es gelang, ihn zu erreichen, behandelten ihn so sanft wie einen Säugling, vier Mann auf jeder Seite, die Arme unter ihn geschoben. Cadsuane mußte wohl tausendmal wiederholt haben, daß er nicht tot war, während sie in den Palast und Gänge entlang eilten, die Min länger erschienen, als sie sie in Erinnerung hatte, und immer mehr cairhienische Soldaten versammelten sich hinter ihnen. Adlige erschienen in jeder Tür und in jedem Quergang und beobachteten mit blutleeren Gesichtern, wie Rand vorübergetragen wurde. Min hatte Caraline und Darlin aus den Augen verloren. Sie konnte sich nicht erinnern, sie seit dem Wagen noch gesehen zu haben, wünschte ihnen Glück und vergaß sie. Rand war das einzige, was sie kümmerte. Das einzige auf der Welt.
Nandera stand bei den Far Dareis Mai, die die Türen zu Rands Räumen mit den vergoldeten Aufgehenden Sonnen bewachten. Als die ergrauende Tochter des Speers Rand sah, zerbrach ihre steinerne Aes Sedai-Haltung. »Was ist passiert?« krächzte sie mit geweiteten Augen. »Was ist geschehen?« Einige der anderen Töchter des Speers begannen zu wehklagen, leise, die Haare zu Berge stehen lassende Laute.
»Seid still!« brüllte Cadsuane und schlug heftig die Hände zusammen. »Ihr, Mädchen. Er muß ins Bett. Los!« Nandera sprang herbei. Rand wurde entkleidet und im Handumdrehen in sein Bett verbracht, Samitsu und Niande beide in seiner Nähe. Die Cairhienerin wurde hinausgescheucht, und Nandera wiederholte an der Tür Cadsuanes Anweisungen, daß Rand von niemandem gestört werden dürfe, was alles so schnell geschah, daß sich Min benommen fühlte. Sie hoffte, eines Tages die Auseinandersetzung zwischen Cadsuane und der Weisen Frau Sorilea mitzuerleben. Sie mußte kommen, und sie würde denkwürdig verlaufen.
Und doch - wenn Cadsuane glaubte, ihre Anweisungen würden wirklich jedermann fernhalten, so irrte sie sich. Bevor sie auch nur mit Hilfe der Macht einen Stuhl verrückt hatte, um sich neben Rands Bett zu setzen, schritten Kiruna und Bera stolz herein, die Herrscherin eines Hofes und die Herrscherin ihres Bauernhofs.
»Was habe ich da gehört über...?« begann Kiruna zornig. Dann sah sie Cadsuane. Und Bera sah Cadsuane. Zu Mins Überraschung blieben sie mit offenen Mündern stehen.
»Er ist in guten Händen«, sagte Cadsuane. »Es sei denn, eine von Euch besitzt plötzlich ein stärkeres Talent des Heilens, als ich es in Erinnerung habe?«
»Ja, Cadsuane«, sagten sie demütig. »Nein, Cadsuane.« Min schloß ebenfalls den Mund.
Samitsu rückte einen elfenbeinverzierten Stuhl an die Wand, breitete ihre dunkelgelben Röcke aus, setzte sich mit gefalteten Händen hin und beobachtete, wie sich Rands Brust unter dem Laken hob und senkte. Niande trat zu Rands Bücherregal und wählte ein Buch aus, bevor sie sich in die Nähe der Fenster setzte. Jetzt zu lesen! Kiruna und Bera wollten sich ebenfalls hinsetzen, blickten aber dann wahrhaftig zu Cadsuane und warteten auf ihr ungeduldiges Nicken, bevor sie sich auch
Weitere Kostenlose Bücher