Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schale der Winde

Die Schale der Winde

Titel: Die Schale der Winde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
Vom Netzwerk:
die Weise Frau beständig über ihr Dolchheft strich, war sich Min nicht sicher. »Ich glaube, schaden will er dem Jungen als letztes.«
    »Aber Cadsuane«, begann Niande drängend, »dieser Mann ist...«
    »Ich sagte, seid still«, erwiderte die grauhaarige Aes Sedai fest.
    »Ich versichere Euch«, sagte Dashiva, wobei es ihm gelang, gleichzeitig schmeichlerisch und barsch zu klingen, »daß Flinn weiß, was er tut. Er kann bereits Dinge vollbringen, von denen Ihr Aes Sedai niemals träumen würdet.« Samitsu rümpfte angekelt die Nase. Cadsuane nickte nur und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.
    Flinn strich mit den Fingern die angeschwollene Wunde an Rands Seite und die alte Narbe entlang. Dies schien sanft zu geschehen. »Sie sind ähnlich, aber doch verschieden, als wären zwei Infektionen am Werk. Nur daß es keine Infektion ist. Es ist ... das Böse. Mir fällt kein besseres Wort ein.« Er zuckte die Achseln und betrachtete Samitsus mit gelben Fransen versehene Stola, während sie ihn stirnrunzelnd ansah, aber es war jetzt ein nachdenklicher Blick.
    »Macht weiter, Flinn«, murrte Dashiva. »Wenn er stirbt...« Er rümpfte die Nase, als nehme er einen unangenehmen Geruch wahr, und wandte den Blick nicht von Rand ab. Er bewegte die Lippen, während er zu sich selbst sprach, und einmal stieß er einen halb wie ein Schluchzen und halb wie ein verbittertes Lachen klingenden Laut aus, ohne daß sich seine Miene auch nur einen Deut geändert hätte.
    Flinn atmete tief durch und sah sich im Raum um, zu den Aes Sedai, zu Amys. Als er Min erblickte, zuckte er zusammen, und sein ledriges Gesicht rötete sich. Er bedeckte Rand hastig wieder bis zum Hals und ließ nur die alte und die neue Wunde frei.
    »Ich hoffe, es stört niemanden, wenn ich dabei rede«, sagte er und bewegte seine schwieligen Hände über Rands Seite. »Zu reden scheint ein wenig zu helfen.« Er blinzelte, konzentrierte sich auf Rands Verletzungen, und seine Finger wanden sich langsam. Ganz ähnlich, als verwebe er Fäden, erkannte Min. Seine Stimme klang fast abwesend, als achte er nur mit einem Teil seines Geistes auf die Worte. »Die Kunst des Heilens hat mich sozusagen zur Schwarzen Burg gebracht. Ich war Soldat, bis ich mir einen Speer im Oberschenkel einfing. Danach konnte ich mich nicht mehr angemessen im Sattel halten und auch nicht weit laufen. Es war die fünfzehnte Verletzung in fast vierzig Jahren in der Königlichen Garde. Zumindest die fünfzehnte von Belang. Verletzungen zählen nicht, wenn man hinterher noch reiten oder laufen kann. Ich habe in diesen vierzig Jahren viele Freunde sterben sehen. Also ging ich zur Burg, und der M'Hael lehrte mich das Heilen. Wie auch andere Dinge. Eine rauhe Art der Heilung. Ich wurde einmal von einer Aes Sedai geheilt - oh, vor inzwischen fast dreißig Jahren - und dies ist im Vergleich dazu schmerzhaft. Aber es wirkt ebensogut. Dann, eines Tages, sagte Dashiva -Verzeihung: Asha'man Dashiva - er wundere sich, warum alles gleich ist, ungeachtet des Umstands, ob es sich um ein gebrochenes Bein oder eine Erkältung handelt, und wir kamen ins Reden, und... Nun, er hat selbst kein Gefühl dafür, aber ich habe anscheinend das Talent.
    Also habe ich darüber nachgedacht, was wäre, wenn... Da. Mehr kann ich nicht tun.«
    Dashiva brummte, als Flinn sich jäh auf die Fersen zurücksetzte und sich mit dem Handrük-ken über die Stirn wischte. Schweiß perlte auf seinem Gesicht, das erste Mal, daß Min einen Asha'man schwitzen sah. Der Schnitt an Rands Seite war nicht fort, aber er schien ein wenig kleiner zu sein, weniger rot und entzündet. Rand schlief noch immer, aber sein Gesicht schien jetzt weniger blaß.
    Samitsu schoß so schnell an Narishma vorbei, daß er keine Gelegenheit hatte einzugreifen. »Was habt Ihr getan?« verlangte sie zu wissen und legte die Finger auf Rands Stirn. Was auch immer sie mit der Macht vorfand - sie wölbte die Brauen, und ihr Tonfall wurde statt herrisch ungläubig. »Was habt Ihr getan?«
    Flinn zuckte bedauernd die Achseln. »Nicht viel. Ich konnte nicht wirklich anrühren, was falsch ist. Ich habe die bösen Kräfte in gewisser Weise vor ihm verschlossen, zumindest eine Zeitlang. Es wird nicht anhalten. Sie bekämpfen jetzt einander. Vielleicht werden sie sich gegenseitig töten, während er die restliche Heilung selbst vollzieht.« Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Andererseits kann ich auch nicht sagen, daß sie ihn nicht töten werden. Aber ich glaube, er hat jetzt

Weitere Kostenlose Bücher