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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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    W er schon einmal, egal, wie lange, in Algonquin Bay gewesen ist, dem fallen viele Gründe dafür ein, weshalb man besser woanders leben sollte. Zunächst einmal die Entfernung von der zivilisierten Welt, worunter Kanadier Toronto, etwa zweihundertfünfzig Meilen im Süden, verstehen. Dann der schleichende Verfall des einstmals schmucken Zentrums – Opfer der doppelten Plage vorstädtischer Einkaufszentren und einer unglücklichen Serie von Bränden. Schließlich die strengen, schneereichen und langen Winter. Es kommt nicht selten vor, dass die klirrende Kälte sich bis in den April hineinzieht, und die letzten Schneefälle gibt es oft im Mai.
    Nicht zu vergessen die Kriebelmücken. Jedes Jahr brechen aus den Betten zahlloser Flüsse und Bäche im nördlichen Ontario Schwärme von Kriebelmücken hervor, um sich am Blut von Vögeln, Vieh und anderen Bewohnern rund um Algonquin Bay zu laben. Dafür sind sie hervorragend ausgestattet. Auch wenn die Kriebelmücke nur einen halben Zentimeter misst, so ähnelt sie doch stark einem Kampfhubschrauber, mit je einem Saugrüssel und einem fiesen kleinen Haken vorne und hinten. Schon eine einzige dieser Kreaturen kann einem Menschen übel mitspielen. Ein ganzer Schwarm davon kann ihn schnell in den Wahnsinn treiben.
    Die World Tavern war an diesem Freitag vielleicht nicht gerade der Wahnsinn, doch der Barkeeper Blaine Styles hatte eine leise Ahnung, dass es Probleme geben würde. Die Kriebelmückensaison brachte nicht unbedingt das Beste in den Menschen hervor, zumindest nicht in denen, die tranken. Blaine war sich zwar nicht hundertprozentig sicher, auswelcher Ecke der Ärger kommen würde, doch es gab ein paar Kandidaten.
    Da war schon mal das Deppen-Trio an der Bar – ein Kerl namens Regis und seine beiden Freunde in Baseballkappen, Bob und Tony. Sie tranken still vor sich hin, hatten aber ein bisschen zu lange mit Darla, der Kellnerin geflirtet, und sie legten eine Rastlosigkeit an den Tag, die für später nichts Gutes versprach. Und dann der Tisch hinten unter der Karte von Afrika. Sie hatten seit Stunden Bier gepichelt. Mäßig, aber regelmäßig. Schließlich dieses Mädchen, diese Rothaarige, die Blaine noch nie gesehen hatte, die sich langsam von Tisch zu Tisch bewegte, und zwar auf eine Weise, die er – aus beruflicher Sicht – beunruhigend fand.
    Eine Flasche Labatt Blue flog durch den Raum und traf die Karte von Kanada direkt über Neufundland. Blaine schoss hinter dem Tresen hervor und setzte den Besoffenen, der sie geworfen hatte, vor die Tür, bevor der auch nur einen Muckser herausbrachte. Es machte Blaine zu schaffen, dass er den Zwischenfall nicht einmal hatte kommen sehen. Der Blödmann hatte mit ein paar anderen Typen in Lederjacken unter Frankreich gesessen, und Blaines Radarschirm hatte ihn nicht einmal erfasst. In der World Tavern, der ältesten Spelunke von Algonquin Bay, konnte es, besonders in der Kriebelmückensaison, an einem Freitagabend schon mal brenzlig werden, und Blaine zog lieber beizeiten die Grenze.
    Er kehrte wieder hinter den Tresen zurück und schenkte ein paar Krüge für den Tisch bei der Afrikakarte ein – an dem es, wie er feststellte, eine Idee lauter wurde. Als Nächstes hielt ihn eine Bestellung von sechs Continental und ein paar eisgekühlten Margaritas auf Trab. Danach konnte er ein bisschen verschnaufen. Er stellte den Fuß auf einen Bierkasten, um seinen Rücken zu entlasten, während er ein paar Gläser spülte.
    Heute Abend waren kaum Stammgäste zu sehen; er warfroh. Fernsehserien versuchten einem immer weiszumachen, die Stammgäste in einer Bar seien Exzentriker mit einem Herzen aus Gold, doch nach Blaines Erfahrung waren sie einfach nur hoffnungslose Spastis mit einem ernsten Problem in Sachen Selbstvertrauen. Weiter als bis zu den fleckigen, schellacküberzogenen Karten an den Wänden der World Tavern würden diese Leute vermutlich nie über Algonquin Bay hinausgelangen.
    Jerry Commanda saß, seine übliche Cola light mit einem Spritzer Zitronensaft in der Hand, am Ende der Bar und las in seinem
Maclean’s
. Ein bisschen rätselhaft, dieser Jerry. Im Großen und Ganzen konnte Blaine ihn ganz gut leiden, obwohl er ein Stammkunde war – jedenfalls respektierte er ihn, auch wenn er mit dem Trinkgeld knauserte.
    Jerry war mal ein schwerer Trinker gewesen – kein hoffnungsloser Säufer, aber doch ein schwerer Trinker. Hatte damit angefangen, als er noch an der Highschool war, und so weitergemacht bis irgendwann

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