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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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zuwinkte.
    Es war Steve.
    Martin wußte es, noch bevor er die »10« auf dem Trikot des winkenden Jungen lesen konnte. Die richtige Nr. »10« gehörte Steves Idol, Bob Mansfield von den New England Patriots, und Steve hatte das Trikot auch an jenem Samstag getragen, an dem er zum letzen Mal zu seinen Eltern ins Auto gestiegen war.
    Er war nicht tot.
    Im Grunde hatte Martin es immer gewußt. Vielleicht hatte er deshalb nicht weinen können, als sie damals den kleinen weißen Sarg in die Erde gesenkt hatten. Und er hatte geglaubt, es sei wegen der Sägespäne. Alles war falsch gewesen an diesem Tag: der makellos blaue Himmel, die Sargträger, die in ihren Fräcken wie unbeholfene Riesenkrähen aussahen, und das Orchester des Veteranenvereins, das andauernd aus dem Rhythmus kam. Steve hätte sich totgelacht, wenn er dabei gewesen wäre ...
    Nein, Steve Mancuso war nicht tot. Der Fremde hatte ihn nicht belogen. Sein Freund stand da drüben, winkte wie besessen und schien ihm etwas zuzurufen, das jedoch von den Stimmen der Stadt übertönt wurde.
    »Steve«, flüsterte Martin glücklich. »Da bist du ja.« Er spürte seine Lider schwer werden, und dann versanken der winkende Junge, der Hafen und die gläserne Stadt in einer grauen Nebelwand. Martin Lundgren lächelte und lauschte dem Gesang der Stadt, der ihn einhüllte und erst verklang, als der Junge längst auf dem Weg in eine andere Welt war.
     

1. Buch

Sturmzeichen
     
    Of some fierce Maenad, even from the dim verge
Of the horizon to the zenith‘s height,
The locks of the approaching storm. Thou dirge

Of the dying year, to which this closing night
Will be the dome of a vast sepulchre,
Vaulted with all thy congregated might ...
     
    Percy Bysshe Shelley
    »Ode to the West Wind«
 

Die Rakete
     
    Ditditdit – ditiditdit – ditditdit ...
    Das Wecksignal wurde rasch lauter.
    Benommen tastete Martin nach dem Schaltknopf. Als er ihn endlich gefunden hatte, war an Schlaf nicht mehr zu denken. Seufzend richtete er sich auf, suchte blinzelnd nach seinen Hausschuhen und stapfte ins Bad.
    »Auch das noch«, murmelte er verdrossen, als der Strahl der Dusche tröpfelnd erstarb. Dann fiel ihm ein, daß das Wasser schon gestern abend abgestellt worden war – nicht nur in ihrem Viertel, sondern in der ganzen Stadt. Jetzt war der Kessel im Keller leer, und er hatte nicht einmal mehr Wasser zum Zähneputzen. Mißmutig hielt Martin seinen Zahnputzbecher unter den tröpfelnden Wasserhahn; die so gewonnene Menge reichte allerdings kaum aus, um sich den Mund anzufeuchten.
    In den Lokalnachrichten hatten sie von »planmäßigen Wartungsarbeiten« gesprochen, aber das war die übliche Ausrede, wenn es wieder einmal eine Anschlagsdrohung gegeben hatte. Aus den Gesprächen seiner Eltern wußte Martin, daß die Anlagen des örtlichen Wasserwerkes schon mehrere Male ergebnislos auf Gifte oder gefährliche Krankheitserreger untersucht worden waren. Offenbar fand es irgend jemand lustig, die Polizei mit Hinweisen auf angebliche Terroranschläge auf Trab zu halten.
    Dad machte kein Hehl daraus, was er von dieser Sorte Spaßvögel hielt, und seine Vorschläge, wie mit ihnen zu verfahren sei, fielen entsprechend drastisch aus.
    Die Krankheit hatte Martins Vater verbittert.
    Als junger Mann hatte Erik Lundgren bei den Marines gedient. Nach den Anschlägen hatte er sich reaktivieren lassen und war zu seiner alten Einheit zurückgekehrt. Er hatte nur selten geschrieben – aus Ländern, die Martin erst im Internet suchen mußte, um herauszufinden, wo sie lagen. Dann war er zurückgekommen, ausgemustert auf Grund einer Krankheit, für die es weder einen Namen noch eine Erklärung gab. Die genauen Umstände unterlagen wohl der Geheimhaltung, jedenfalls hatte sein Vater nie darüber gesprochen.
    Bei der Polizei durfte er nicht mehr arbeiten, und so hatte man ihm auf sein Drängen hin einen Bürojob in der Stadtverwaltung vermittelt, obwohl die Familie finanziell abgesichert war. Dad war der Auffassung, daß auch der mieseste Job besser war, als zu Hause zu sitzen und auf den nächsten Anfall zu warten. Er bekam starke Medikamente, die es in keiner Apotheke zu kaufen gab. Die Päckchen mit den Tabletten kamen direkt aus einem Institut in Fort Detrick, Maryland. Angeblich sollten sie die Entwicklung der Krankheit aufhalten, bis ein Gegenmittel gefunden war.
    Martin hatte allerdings den Eindruck, daß sich sein Vater verändert hatte, seitdem er das Zeug einnahm. Er kam nur noch zu den

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