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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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ihr Selbstbewusstsein für eine erwachsene Beziehung nicht ausreicht. Ist das die Psychodynamik, die dahinter steckt?“
    Berthold stöhnte innerlich. Seine Leichtigkeit verflüchtigte sich jetzt vollends. Jetzt nicht auch noch Robins üblicher pseudowissenschaftlicher Mist!
    „Keine Ahnung! Möglich wär’s“, antwortete er widerwillig und bemühte sich um fundiertes Wissen, „auch dieses blond und blauäugig, auf das viele so abfahren – alles kindliche Merkmale. Auch diese ganzen magersüchtigen Models mit ihren Stupsnäschen.“
    „Genau!“ sagte Robin. „Das muss man sich mal vorstellen: diese ganzen verklemmten Typen, alle latent pädophil. Wi-der-lich!“
    „Aber dann“, nahm Robin den Faden wieder auf, „dann hatte ich mal eine Affäre mit ’ner Negerin. Das ging vielleicht ab!“
    Er gluckste wieder und konnte eine ganze Weile nicht weitersprechen vor Lachen. „Die hat mir mal einen geblasen. Kchkch! Und ich sollte pffff ...“ Er japste eine Weile. „... ich sollte ihr rechtzeitig Bescheid sagen, bevor ich ejakuliere. Uahahaha!“
    „Und dann?“ Berthold verspürte jetzt ein immer unangenehmer werdendes Gefühl der Peinlichkeit.
    „Dann ... dann habe ich ihr in den Mund ejakuliert! Waah!“ Robin hatte einen halben Erstickungsanfall vor Lachen und entließ eine dichte Wolke von Weinfahne in Bertholds Richtung.
    Eine Afrikanerin mit Robin beim Oralsex. Was für eine erregende Vorstellung. Berthold wünschte jetzt inständig, Robin möge endlich zum Schluss kommen.
    „Und? Hat sie dann gut gespuckt?“ fragte er genervt.
    „Eben nicht! Sie stand drauf! Sie wollte sogar mehr! Echt, aus den Weibern wirste nicht schlau.“
    Er leerte sein Glas. „Manche wollen einfach nur so richtig in die Mangel genommen werden. Tun erst ganz schüchtern und prüde, aber wehe, man ist dann zu vornehm und ehrenhaft und benimmt sich zu zurückhaltend. Von wegen langes Vorspiel und so. Sofort ist man als Memme stigmatisiert. Der brutale Fick, das ist es!“
    Berthold holte eine neue Flasche.

    In dieser Nacht passierte es. Seit etwa sieben Jahren war Ruhe gewesen, aber jetzt überkam es Berthold wieder mit aller Macht. Es war nicht ganz so gewaltig wie damals, als er sechzehn war, aber dennoch so entsetzlich, dass sein ganzer Körper schlotterte und er das Schreien nur mit Mühe zu einem verzweifelten Wimmern herunterzwingen konnte. Die Angst kam, genau wie früher, mitten in der Nacht. Er fuhr aus einem Traum auf und war erfüllt von einem Grauen des Todes. Ein lauernder, widerwärtiger hässlicher Dämon hatte von ihm Besitz ergriffen und quälte ihn grinsend mit der entsetzlichsten Angst, die es geben konnte. Panikartige Angst, nur dass er nicht wusste, wovor. Die wahnsinnige Angst des tobenden Irren in der Zwangsjacke, den niemand versteht in seiner grenzenlosen, unzugänglichen Einsamkeit. Die Angst des zum Tode Verurteilten kurz bevor er seinen Nacken unter das bereits bluttriefende Fallbeil legt. Die Angst des in der unterirdischen Höhle eingeschlossenen Bergmannes, der um sein langsames, unvermeidliches Verrecken weiß ohne jede Aussicht auf Hilfe. Die Angst des in den unendlichen Weiten des Weltalls losgerissen von der rettenden Raumkapsel umhertreibenden Astronauten, der nie wieder zurückkehren würde.
    Berthold schrie. Er war bereits wach, und doch wütete das Entsetzen des Albdrucks in ihm. In wilder Panik griff er um sich, bekam den realen Bettpfosten zu packen, den wirklichen Lichtschalter. Der Boden unter seinen zitternden Füßen war kalt, aber echt.
    Berthold atmete schwer. Der Anflug war vorüber. Er sank zurück auf sein Bett. Sein Herz hämmerte noch immer wie wild. Er war klatschnass geschwitzt und fühlte sich völlig erschöpft. Vor allem war er bestürzt, dass das, was er längst überwunden geglaubt hatte, ihn so gnadenlos eingeholt hatte und so zermürbend quälte. Schluchzend kauerte er sich in seinem Bett zusammen. Was war nur mit ihm los? Waren es die fortwährenden Enttäuschungen mit Margit? Die dauerten aber nun schon Monate. Er hatte davon chronische Appetitlosigkeit und Magenkrämpfe. Aber vielleicht war ja das Maß irgendwann voll? Das Gefühl in seiner unbeschreiblich entsetzlichen Angst war eine grenzenlose Einsamkeit. Das würde passen. Aber er war sonst noch nie in seinem Leben einsam gewesen. Ob er einfach überreizt war? Er hatte emsig und konzentriert an seinem Roman gearbeitet, oft bis tief in die Nacht. Vielleicht war eine allgemeine Überreizung verantwortlich für

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