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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Rotwein.
    „Trink!“ befahl er. „Bier ist immer gut.“
    Das Bier tat sogar wirklich gut. Berthold fühlte sich ruhiger und leichter. Der nächtliche Auftritt war ihm sehr unangenehm, aber Tims Gegenwart wirkte ungemein entspannend. Allein sein englisches „R“, schon wirkte heimelig.
    „Ich kenne so etwas übrigens selbst“, sagte Tim. „Ich erzählte dir davon bisher nicht?“
    Berthold schüttelte den Kopf, war aber ungemein erleichtert, dass er nicht der einzige auf der Welt war, der solche Probleme hatte. Er hätte Tim dafür küssen können.
    „Es ist erst wenige Jahre her“, erzählte Tim, „da wohnte ich noch bei meinen Eltern in Norwich. Ich hatte die absolute Panik. Mein Arzt verschrieb mir damals Beta-Blocker, damit wurde es besser.“
    „Und jetzt?“ fragte Berthold.
    „Ich nehme nichts mehr dergleichen. Ich begann dann mit dem Studium, und ging ich hier nach Deutschland. Auf einmal hatte ich den Eindruck, es ist weg. Ich setzte die Medikamente ab, und: es stimmte.“
    „Es ging einfach so weg?“
    „Ja, mit meinem Auszug glaube ich.“
    „Das heißt, es hatte mit deinen Eltern zu tun? War es so schlimm zu Hause?“
    „Ehrlich gesagt: nein, gar nicht. Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit. Norwich ist sehr beschaulich, die Gegend ist sehr idyllisch, meine Eltern verstanden sich immer gut. Vielleicht ging es nur um Selbstfindung. Wenn ich jetzt nach Hause komme, geht es mir trotzdem gut. Es ist einfach vorbei.“
    „Vielleicht ist es das auch bei mir. Ich wohne zwar nicht mehr zu Hause, aber ich bin mit meinen Eltern noch sehr eng verbunden. Denn einen anderen Grund finde ich einfach nicht. Ich grüble und grüble, aber ich komme zu keiner Lösung.“ Berthold fuhr sich nervös durch die Haare.
    „Vielleicht bist du einfach überreizt. Du vergräbst dich manchmal tagelang in deiner Arbeit. Du solltest mal mit ein paar netten Mädels ausgehen so wie ich, anstatt deine Zeit mit dieser schrecklichen Margit zu verschwenden.“
    „Du findest sie schrecklich?“
    „Allerdings. Du könntest sie mir nackt vor den Bauch binden – nichts würde sich bei mir regen. Absolut keine Frau, die ich irgendwie anziehend fände. Anstrengend, aggressiv und eitel.“
    „Ich habe manchmal den Eindruck, alle Männer sind hinter ihr her.“
    „Das hätte sie wahrscheinlich gerne“, sagte Tim und tat einen genießerischen Schluck aus seinem Glas. „Sie ist doch nicht einmal sonderlich hübsch. Sorry, du wolltest ja wissen, wie ich sie finde.“
    „Oh, es tut mir nur gut, mal eine solche Meinung zu hören. Ich sehe das ja selbst, dass sie mir nicht gut tut. Ich habe ständig Magenkrämpfe. Jetzt ist sie gerade in Italien und lässt sich dort bejubeln. Sie meldet sich nicht und will mich selten sehen.“
    Tim schüttelte ungläubig den Kopf. „Tz, tz, was muss ich hören? Vielleicht gibt es doch einen Zusammenhang. Es ist doch merkwürdig, warum du dir das alles so von ihr gefallen lässt. Jeder andere hätte die doch gleich in die Wüste geschickt. Was willst du mit einer, die dich nicht sehen will?“
    Berthold konnte jedem Wort nur zustimmen. Jetzt war er abgelenkt. Wie auch immer die Zusammenhänge waren, ihm waren reale Probleme weitaus lieber als irrationale.
    „Sieh mal, es könnte doch alles so einfach sein: Mann liebt Frau, Frau liebt Mann, deshalb sind sie nett zueinander und wollen ständig zusammen sein. Schluss, fertig, aus. Alles andere sind Eiertänze, die keinem vernünftigen Menschen gut tun. So sehe ich das. Was will ein Mann mit einer Frau, die ihn nicht sehen will? Das ist alles für den Eimer ...“
    „Ja, aber unter anderen Umständen ...“
    „Die Umstände sind aber nicht anders. Auch wenn sie unter anderen Umständen, mit anderen Eltern, mit anderer Kindheit, und - was weiß ich noch - ein ganz reizender Mensch wäre, das Ergebnis unterm Strich ist: Sie will dich nicht sehen, will nicht mit dir schlafen und brüstet sich ständig mit ihren Verehrern. Das is‘ nix. Nicht für dich, nicht für mich, für keinen. Es sei denn, man will nur eine Beziehung für den gelegentlichen Bums. Bumst sie wenigstens gut? Das wäre eine Erklärung.“
    „Zuerst war’s schon gut. Meistens lässt sie es inzwischen eher über sich ergehen“, gab Berthold zu.
    „Damit stimmt’s also auch nicht?“ Dann neigst du womöglich zum Selbstquälen? Manche finden das ja geil. Das war schon im Mittelalter so, da peitschte man sich den Rücken auf. Davon ging so Manchem einer ab. Offiziell hieß

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