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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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so eingefallen!“
    Er starrte ihm ins verängstigte Gesicht. Aus dem Schatten seiner Kapuze schienen Zähne zu blinken.
    „Wir schätzen Bürger, aus deren Geist solche Dinge entspringen!“
    Er streckte seinen sehnigen Arm aus und fasste Freder an der Schulter.
    „Komm in unsere Mitte und begleite uns.“
    „Aber wohin werden wir gehen?“
    In Freders Gesicht war ebenso Mattigkeit wie angstvolles Unbehagen zu lesen. Vergeblich versuchte er, die Gesichter der Besucher auszumachen.
    „Wir führen dich zur Mitte deines Seins! Dorthin, wo Anfang und Ende sich begegnen.“ Die Stimme des Anführers klang jetzt wie ein leises Säuseln.
    Er zog den bebenden Tischler unerbittlich aus seinem Haus. Die fleckige Hand ließ von Freders Schulter erst ab, als er inmitten der schwarzgekleideten Gestalten stand.
    Der Anführer schloss still die Tür. Würdevoll setzte er sich an die Spitze der Gruppe.
    „Wann werde ich zurück sein?“ fragte Freder.
    „Bald, bald.“
    „Was muss ich tun?“
    „Nichts, absolut nichts. Vertraue dich uns nur an.“
    Er tat jetzt einen Schritt auf ihn zu und neigte sich ihm entgegen.
    „Und jetzt schweig“, lispelte er. „ Bitte.“
    Der Trupp setzte sich in Bewegung. Kein Passant beachtete sie, als sie durch den Torbogen in den Hauptweg einbogen.

    Die Stadt lag diesmal im Vollmondschein, und der Sternenhimmel zeigte sich in seiner ganzen Pracht. Sogar die schwarzen Mauern schienen nicht so dunkel wie sonst, und die glatte Oberfläche der Basaltsteine glänzte im silbernen Licht. Darius saß im Schatten auf der Fensterbank und sah aus einem der gotischen Außenfenster des Kreuzganges nach draußen. Unter ihm lagen die Dächer und Terrassen der Häuser, die sich tief und zahlreich bis an die gewaltige Stadtmauer hinunter erstreckten, unterbrochen von Türmen und Kuppeln, den Dächern der großen Amtsgebäude und alten Paläste. Die Gebäude türmten sich hinter dem Kloster den ganzen Berg hinauf, schlanke, breite, hohe, dicht gedrängt, manche hochaufragend, manche geduckt, schmale Wege, steile Treppen und tiefe Gassen bildend, bis hinauf zur alles beherrschenden Festung, deren schwarze Türme bis in den Himmel zu ragen schienen, ehrwürdig, uralt, als sei sie eins mit dem felsigen Untergrund, vor unendlich langer Zeit heraus gewachsen und zu ihrer jetzigen Form erstarrt. Der Berg war zeitweise so steil, dass die Häuser an der Talseite bis zu acht Stockwerke maßen, die tief in den Fels hineingebaut waren, an der Bergseite dagegen nur ein- bis zwei. Wie viele Stockwerke noch dazu unterirdisch angelegt waren, konnte man nur ahnen, aber Darius wusste, dass sie tief in den Fels hineingebaut waren. Die Stadt war in Wahrheit noch größer als direkt erkennbar, und an der Oberfläche zeigte sie ein wahrhaft majestätisches, aber auch bizarres Gesicht. Die tiefen Spalten und Täler, die das zerklüftete Gestein durchzogen, waren durch kunstvolle Brückenkonstruktionen überspannt, die teilweise so mächtig waren, dass ganze Häusergruppen auf ihnen Platz fanden. Andere waren zierlich und verspielt, überbrückten lediglich die zahllosen Wasserkanäle, die die ganze Stadt wie ein feines System von Adern durchzogen und das Wasser terrassenförmig von der Höhe der Festung über Rinnen und Becken bis hinunter ins Meer leiteten. Architektonische Meisterleistungen fanden sich fast überall. Darius dachte an seine ausgedehnten Spaziergänge, die ihn immer wieder in Stadtviertel geführt hatten, die ihm noch unbekannt waren, obgleich er in der Stadt lebte, seit er denken konnte. Doch immer wieder gab es Neues zu entdecken, eindrucksvolle Bauwerke, bedeckt mit großartigen Steinfiguren und Ornamenten, schmiedeeiserne, filigrane Fenster und Tore, Brunnen, deren Reliefs wundersame Geschichten erzählten, und geheimnisvolle Gassen, die einluden, sie zu begehen. Manchmal war es ihm, als bildeten sich in der Zeit des Schlafes heimlich neue Details, als wüchsen unmerklich neue Mauern, Türme und Erker, und der gleiche Ort wandle sich mit jedem Atemzug, der die Stadt erfüllte. Ja, die Stadt selbst schien zu atmen, irgendwie zu leben, obgleich sie stets von tiefer Stille erfüllt war. Auch heute waren die einzigen Geräusche, die zu hören waren, der leichte Wind, der sich zeitweise erhob, und das Rauschen des Meeres aus weiter, weiter Ferne. So war es immer.
    Darius hörte einen knarrenden Laut, und dass danach die Tür des Observatoriums zugesperrt wurde. Beda tauchte kurz darauf am anderen Ende des

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