Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
Prolog
Der Weltenbaum stöhnte. Eltanin hörte sein herzzerreißendes Klagen. Doch mehr als er es hörte, spürte er es am eigenen Leib, und es erschütterte ihn bis ins Mark. Denn er war und blieb ein Geschöpf Drakoniens, einer der Beschützer des Weltenbaums, und nichts im Leben hätte ihn diese Herkunft vergessen lassen. Auch nicht der Verrat, den er verübt hatte. Und noch nicht einmal die gerade beendete Schlacht, in der er an der Seite der Lindwürmer gegen seine Artgenossen, die Drachen, gekämpft hatte.
Die ganze Nacht und den darauffolgenden Tag hatte der Kampf getobt. An jeder Straßenecke waren sie übereinander hergefallen und hatten sich gegenseitig niedergemacht, während die Flammen Gebäude und Kadaver verschlangen. Und er hatte sich nicht geschont, hatte seinen Brüdern die Krallen ins Fleisch geschlagen, hatte jegliches Mitgefühl unterdrückt und seine Mitstreiter immer wieder gegen seine alten Freunde anrennen lassen. Doch so todesmutig sie auch gekämpft, so hartnäckig sie sich auch in den Feind verbissen und dabei die eigenen Wunden vergessen hatten, war es den Lindwürmern nicht gelungen zu siegen. Als die Sonne wieder unterging, wussten alle, dass ihr Angriff gescheitert war. Zwar hatten sie dem Feind entsetzliche Verluste zugefügt, doch die Stadt war weiterhin fest in der Hand der Drachen. In dieser Lage nun wandte sich Eltanin an Nidhoggr und schlug ihm vor, wie die letzte Attacke zu führen sei, die alles entscheiden würde.
»Der Weltenbaum erhebt sich inmitten eines offenen Tempelbezirks«, erklärte er seinem neuen Herrn. »Die Wächter, die ihn beschützen sollen, werden durch den Kampf abgelenkt sein. Zusätzlich gibt es noch eine Schutzbarriere, die sich nur überwinden lässt, wenn man sich mit einem Saft einreibt, der heftig brennt.«
Der Saft des Weltenbaums … Er hatte ihn Nidhoggr gereicht.
Der Herrscher der Lindwürmer hatte wild entschlossen gegrinst. »Diesen Schmerz will ich mit Vergnügen ertragen.«
Auf diese Weise geschützt, war Nidhoggr also bis zum Weltenbaum gelangt und war nun dabei, ihn zu zerstören.
Eltanin wandte sich um und lief zum Tempelbezirk. Er folgte einem Urinstinkt, denn dass er so viele Jahre ein Schutzdrache gewesen war, konnte er trotz allem nicht verleugnen. Da sah er Nidhoggr am Werk. Seine Schuppen dampften durch die Berührung mit dem kostbaren Pflanzensaft. Mit seinen Reißzähnen wühlte er in der Erde und legte die Wurzeln des Weltenbaums frei, riss sie ab und verschlang sie. Wie Blut ergoss sich der glänzende und kostbare Lebenssaft über den Erdboden, während der Weltenbaum bereits von entsetzlichen Krämpfen geschüttelt wurde, den letzten Zuckungen eines Lebewesens im Todeskampf.
Jetzt erst erkannte Eltanin die Grausamkeit dessen, was dort geschah. Sein Herz bebte und drängte ihn dazu, loszulaufen und Nidhoggr in den Arm zu fallen, um zu retten, was vom Weltenbaum noch zu retten war. Denn die Blätter in der Krone begannen bereits zu welken, ihr Grün ging schon in ein kränkliches Gelb über, und immer mehr fielen zu Boden. Doch Eltanin gelang es, diese Regungen zu unterdrücken.
›Das hast du doch selbst gewollt‹, wies er sich zurecht. ›Dafür hast du dich entschieden. Du wusstest, was geschehen würde. Du hast dich freiwillig auf die Seite der Lindwürmer geschlagen. Denn du glaubst an ihre Sache. Und sie glauben an dich. Also schau hin und genieße das Schauspiel. Dies alles gehört zu dem großen Plan. ‹
Nun eilten die Schutzdrachen herbei. Einige waren verwundet, ihre Rüstungen mit Blut besudelt, schwarz von Lindwurmblut, oder rot, wenn es ihr eigenes war. Thuban, Rastaban, ihre Augen entsetzt aufgerissen.
Nidhoggr lachte, während von seinen Reißzähnen der Lebenssaft des Weltenbaums troff. Er reckte den Kopf und brüllte laut auf, sandte sein Triumphgeschrei gen Himmel. »Jetzt ist es um euch geschehen!«, rief er. »Was wollt ihr nun tun, da der Weltenbaum stirbt? Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir Lindwürmer wieder die Erde beherrschen. Die Tage der Drachen sind gezählt!«
Damit breitete er seine riesigen schwarzen Flügel aus und hob mit einem einzigen mächtigen Flügelschlag vom Boden ab.
»Sammeln zum Rückzug!«, rief er seinen Kriegern zu. »Wir kommen wieder!«, schrie er weiter und blickte nach unten, mehr an die Drachen gewandt. »Wir kommen wieder, aber dann werden wir Zehntausende sein. Und von Drakonien wird nichts als eine blasse Erinnerung übrig bleiben.«
Damit flog
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