Die schöne Ärztin
kletterten über geknickte Stempel, räumten Gesteinsbrocken weg und arbeiteten sich vor, bis sie vor einer kompakten, niedergebrochenen Wand standen. Unter einem Stapel Grubenholz lag eingeklemmt der Hauer Blondaski und stöhnte laut.
»Meine Beine!« schrie er, als er die beiden Holtmanns über die Trümmer klettern sah. »Kumpels … meine Beine … packt vorsichtig an … nicht zerren … meine Beine … Ich werde verrückt! Ich werde verrückt …!«
Hans Holtmann drückte vorsichtig einen zerbrochenen Stempel weg, er stemmte sich gegen das Holz, während Kurt versuchte, Blondaski darunter hervorzuziehen. Ein tierisches Aufbrüllen antwortete ihm:
»Meine Beine! Meine Beine!«
Kurt Holtmann ließ ihn los und kroch zurück. Sein schwarzes Gesicht war von Schweiß überströmt.
»Wir brauchen eine Winde, Vater!« keuchte er. »Verdammt, warum kommt denn niemand? Wo ist denn der Schießhauer?«
Hans Holtmann stemmte sich noch immer gegen den Stempel.
»Ist noch jemand hinter der Wand?« brüllte er in die Dunkelheit hinein. Blondaski wimmerte wie ein Kind.
»Noch sechs … sechs …!« heulte er. »Meine Beine … ich werde verrückt …!«
»Lauf!« schrie Holtmann seinen Sohn an. »Die müssen doch gemerkt haben, was los ist!«
Aus der Dunkelheit kam eine neue Stimme. Fußgestampfe. Geräte schepperten gegen Gestein. Drei Handscheinwerfer warfen grelles Licht auf den Strebbruch. Ein Steiger mit zehn Mann tauchte auf.
»Wie konnte das bloß passieren?« fragte er, als er vor der Steinwand stand. Hans Holtmann lehnte sich gegen die Zimmerung und atmete schwer. Mit einer kleinen Winde begannen drei Männer, die Stempel hochzustemmen.
»Wie konnte das passieren?!« wiederholte der Steiger entsetzt. »In diesem verdammten Schacht ist alles möglich …«
Unter den Trümmern schwieg jetzt Blondaski. Der Schmerz hatte ihn ohnmächtig gemacht.
2
»Wir haben ihn gleich …« Die Winde knirschte, drei andere Kumpel drückten mit Eisenstangen unter dem eingeknickten Stempel und halfen beim Wegschieben der niedergebrochenen Zimmerung. Vom Hauptschacht her kamen jetzt einige Sanitäter mit Tragen und Decken gelaufen, der Förderkorb wartete bereits am Füllort.
Langsam zog man den Hauer Blondaski aus den Trümmern heraus. Seine Beine schleiften nach, als gehörten sie nicht mehr zu seinem Körper, sondern als seien sie zwei selbständige Klumpen in den zerrissenen Hosen. Der Steiger bettete ihn mit den Sanitätern auf eine der Tragen.
»Ein Mist ist das!« sagte er. »Das gibt wieder eine Schreiberei …«
»Andere Sorgen haste wohl nicht?« Kurt Holtmann preßte das Ohr an das heruntergebrochene Gestein. »Da klopfen welche … da leben ja noch welche von den sechs …«
Die Unglücksstelle war jetzt von Batteriescheinwerfern taghell erleuchtet. Ein fahrbares, elektrisches Abräumgerät rollte aus dem Hauptschacht heran.
»Was soll das?« schrie der Steiger. »Wer hat das bestellt? Sollen wir alle krepieren? Stempel brauche ich, Stahlstützen, Bretter … und los, Jungs … mit den Händen …!«
Er streckte den Kopf vor und lauschte. »Seid doch mal still! Da …«
Ganz deutlich war es zu vernehmen, ein leises, rhythmisches Klopfen immer und immer wieder … tack – tack – tack – Ein Eisenhammer, der gegen den niedergebrochenen Fels schlug.
»Sie leben!« Hans Holtmann nahm seine Keilhaue und hieb mit ihr gegen die Wand. Wir kommen, Kameraden, sollte das heißen. Wir kommen … und wenn uns das Fleisch von den Händen fällt … wir holen euch heraus.
Oben, in der Kaue, nahmen Dr. Pillnitz und Dr. Waltraud Born den Hauer Blondaski in Empfang. Der Arzt deckte ihn auf, sah die zertrümmerten Beine und streckte die Hand aus. Dr. Waltraud reichte ihm eine Kreislaufspritze. Sie brauchte nicht zu fragen, sie sah die bizarre Stellung beider Beine zum Körper.
»Wer ist das?« fragte Dr. Pillnitz, als er die Injektion gab. Einer der Bergleute kannte ihn.
»Emil Blondaski. Hat Frau und vier Kinder.« Er sah den Arzt an. Das genügte. Dr. Pillnitz nickte.
»Er kommt durch. Aber –« Dr. Pillnitz schwieg und legte die Decke wieder auf den schwerverletzten Mann. Jeder wußte, was dieses gedehnte ›Aber‹ hieß. Krüppel für immer. Ein Leben, in dem die Sonne nicht mehr scheinen würde. Invalide … das gefürchtetste Wort –
Minuten später raste der erste Krankenwagen mit dem noch immer besinnungslosen Blondaski zum Krankenhaus nach Gelsenkirchen. Seine Frau wußte noch von nichts, sie stand im
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